Gleichheit , Recht & Schutz

Mit seiner Forderung, Sexualstraftäter „für immer“ wegzusperren, hat Bundeskanzler Gerhard Schröder nahe liegende Affekte bedient und eine Strafrechtsposition vertreten, die von den Forderungen einer differenzierten Kontrollpolitik ablenkt. Längst nämlich hat sich erwiesen, dass der Opferschutz mit bloßen strafrechtlichen Sanktionen nicht verbessert wird. Neuere Formen vernetzter Interaktion, wie sie im Aktionsplan gegen häusliche Gewalt oder in der angestrebten Neuregelung der Prostitution zum Tragen kommen, sind aber auch das Ergebnis der feminstischen Erfahrung, dass eine effektive Antidiskriminierungspolitik komplex betrieben werden und über rechtliche Gleichstellung hinausgehen muss

von MONIKA FROMMEL

Wer nach den Gründen noch existierender Ungleichheiten von Frauen und Männern fragt, wird mit drei ganz unterschiedlichen Phänomenen konfrontiert: ungleiche Karriereplanung und ungleiche ökonomische Potenz; ungleiche Anteile an der Kinder- und Altenbetreuung; sowie unterschiedliche Betroffenheit vom negativen Gut Kriminalität, und zwar sowohl auf der Täter- wie auf der Opferseite.

Mit einer rechtlichen Gleichstellung, also der Politik der Siebziger- und Achtzigerjahre, ist diesen Problemen nicht beizukommen. Die beobachtbaren Ungleichheiten bewegen sich nicht auf der formalen Ebene unmittelbarer Diskriminierung. Sie sind auch nicht mehr als Ausdruck patriarchaler Verhältnisse zu begreifen. Solche Theorieansätze betrachten Frauen zu sehr als homogene Gruppe. Überdies widersprechen sie auch dem Selbstverständnis der jüngeren Frauen.

Dies zeigt, dass Regeln, nach denen Individuen, Gruppen und ganze Gesellschaften Geschlechterunterschiede inszenieren, sehr viel stärker individuell, sozial und politisch verändert werden können, als dies die herkömmliche feministische Sicht vermutet hat. Daher gehe ich davon aus, dass schon in der zukünftigen Gegenwart oder in der schon gegenwärtigen Zukunft Geschlecht kein Schicksal – schon gar kein problematisches Schicksal – mehr sein wird.

Bis dahin aber werden uns die oben genannten Unterschiede noch beschäftigen müssen. Sie scheinen weniger Ausdruck von Unterdrückung zu sein als vielmehr das Ergebnis unterschiedlicher Lebensplanung und damit Ausdruck von autonomen und geschlechtsspezifisch differenten Werten. Wenn das aber so ist, dann lassen sich die genannten Unterschiede nicht mit der herkömmlichen Politik der „Frauenförderung“ beheben. Dies würde lediglich in Sackgassen eines bevormundenden Protektionismus führen.

Antidiskriminierungspolitik zielt auf Gleichheit und Differenz. Sie trifft mittlerweile auf eine große soziale Akzeptanz und reibt sich lediglich an einem den Verhältnissen nachhinkenden rechtlichen Bewusstsein. Interessant an der gegenwärtigen Rechtspolitik ist daher die Hilflosigkeit der herkömmlichen Jurisprudenz. Sie muss permanent dazu gezwungen werden, Verfassungspostulate umzusetzen. Ist das früher anders gewesen?

Bevor die gegenwärtigen Reformen bewertet werden sollen, lohnt sich ein Blick zurück. Wie gelang es der bürgerlichen Gesellschaft des 19. und 20. Jahrhunderts, nach dem Pathos der bürgerlichen Revolution eine Philosophie der formalen und materiellen Ungleichheit der Geschlechter zu konstruieren? Zwei Widersprüche springen ins Auge. Den ersten hat die sozialistische Kritik zum Hauptwiderspruch erklärt, beim zweiten stritten sich Kommunistinnen wie Clara Zetkin und Vertreterinnen der bürgerlichen Frauenbewegung darüber, ob es sich um einen sofort zu bekämpfenden Haupt- oder einen später nebenbei zu lösenden Nebenwiderspruch handele.

Über die Kategorie des Eigentums und der abhängigen Arbeit entstanden Ungleichheiten zwischen bürgerlichen und nichtbürgerlichen Lebenswelten. Alle wussten, dass sie in einer Klassengesellschaft lebten, und nicht nur sozialistische Justizkritiker sprachen von der Klassenjustiz.

Quer dazu wurde den Frauen aller Klassen und Schichten das Recht verweigert, privatautonom am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Ihr legitimer Ort war ausschließlich das Haus, und innerhalb der häuslichen Gemeinschaften galten keine staatsbürgerlichen Rechte: Nicht einmal auf einer formalen Ebene konnten sich Frauen, Kinder und Abhängige auf die Prinzipien der Freiheit und Gleichheit berufen. Auch dies war sowohl den aufgeklärten bürgerlichen Frauen wie den Sozialistinnen klar. Sie stritten „nur“ über den „richtigen“ politischen Kurs.

Der patriarchale Widerspruch lief also darauf hinaus, an die Stelle der Kategorie des Vertrages (was nichts anderes ist als die erst heute realisierte eingetragene Partnerschaft) überkommene Ordnungsvorstellungen durchzusetzen, die von einer quasi naturrechtlichen Differenz und Hierarchie der Geschlechter (auf der Folie einer natürlichen heterosexuellen Orientierung) ausgingen. Für die städtischen Mittelschichten ist somit seit dem Kaiserreich bis in die 1960er-Jahre das Modell des Ernährers und der (allenfalls dazuverdienenden) Hausfrau prägend.

Familien- und Sozialpolitik orientierte sich bis in die jüngste Vergangenheit an diesem Modell und stabilisierte es durch immer neue Anpassungsleistungen. Aber mit der Zubilligung staatsbürgerlicher Rechte in den 1920er-Jahren beginnt eine erste Phase der formalen Gleichstellung und mit ihr die Geschichte der Auflösung und Transformation patriarchaler Macht. Vage erinnern wir uns an die ideologischen Kämpfe zur Zeit der Ehescheidungsreform in den Siebzigerjahren und konstatieren, dass eine auf Chancengleichheit aufgebaute Bildungspolitik, die Förderung von Teilzeitarbeit und andere Formen der Antidiskriminierungspolitik langfristig nicht nur formal gleiches Recht erzwungen haben, was lediglich eine Angleichung an männlich dominierte Rollen wäre, sondern vom Ideal einer egalitären Gesellschaft ausgehen und somit immer schon mehr verlangt haben als formale Gleichheit oder den Schutz Ungleicher.

Dennoch fühlten sich Frauen in den Achtzigerjahren noch weitgehend als Verliererinnen, wenn sie versuchten, ihre Rechte zu nutzen. Die herkömmliche Jurisprudenz war noch ganz ungebrochen eine Domäne maskuliner Kultur. Gegenstrategien schienen fast aussichtslos. Aber mit einem skeptischen oder negativen weiblichen Rechtsbewusstsein war der maskulin geprägten Jurisprudenz nicht beizukommen. Die erfolgreiche Mobilisierung von Instanzen setzt ein Minimum an gesellschaftlicher und politischer Macht voraus.

Angesagt war somit der mühsame und kompromissbereite Gang durch die Institutionen. Er scheint – jedenfalls was die Rechts- und Gleichstellungspolitik betrifft – nicht ohne Erfolge geblieben zu sein. Gleichheit und Anerkennung von Differenz ist mittlerweile aktuelle Politik. Sie kann mit einem weiten modernen Familienbegriff die herkömmliche Familienpolitik ablösen und die egalitäre Gesellschaft zum Ziel künftiger Familien- und Sozialpolitik machen.

Betrachten wir die Bausteine einer in sich stimmigen Genderpolitik der letzten Jahrzehnte. 1992 bis 1995 wurde die Abtreibung reformiert, 1997 einigte man sich – nach jahrzehntelangen zermürbenden Debatten um die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe – auf eine egalitäre Reform des Sexualstrafrechts. Seitdem liegt es jedenfalls nicht mehr daran, dass das Recht eine Art Sonderrecht zu Lasten von Frauen ist, wenn vergewaltigte Frauen oder missbrauchte Kinder vor Gericht unangemessen behandelt werden.

Mittlerweile muss man fast fürchten, dass die neue Sensibilität für Opferbelange benutzt wird, um die liberale Strafrechtsreform der 1970er-Jahre zu konterkarieren. Dieses Mal im Namen der Opfer. Angedeutet hat sich das schon früh. Der egalitären Reform 1997 folgten schon 1998 die ersten Schritte in Richtung einer repressiven Sicherheitspolitik (Stichwort: Sicherungsverwahrung für Hangtäter). Repressiv ist diese insofern, als sie über keine klaren Kriterien ihrer Zielgruppe verfügt (wer ist aus der Perspektive potenzieller Opfer gefährlich und wo baut der strafende Staat Machtpotenziale „im Namen der Opfer“ aus, ohne effektiven Schutz auch nur anzustreben?). Eines ist leider klar: die Erfolge der Frauenpolitik wären ohne diesen Schulterschluss mit konservativen Strömungen nicht erzielt worden, zumindest nicht mit der Akzeptanz und der effektiven Implementation, wie sie etwa der neue Einheitstatbestand der sexuellen Nötigung / Vergewaltigung aufweist.

Meines Erachtens ist aber die illiberale Tendenz, die für die Spätphase der Kohl-Regierung typisch ist, bereits gestoppt. Gerhard Schröders jüngste populistische Forderung nach einem unbegrenzten „Wegschließen“ von Sexualstraftätern ist reine Rhetorik und überlagert leider das Anliegen der gegenwärtigen Antidiskriminierungspolitik. Diese nämlich verfolgt kein symbolisches Strafrecht mehr, sondern interveniert vernetzt. Vernetzungsmodelle (etwa das Berliner Interventionsprojekt gegen häusliche Gewalt BIG oder das Kooperations- und Interventionskonzept KIK in Schleswig-Holstein, www.kik-sh.uni-kiel.de) setzen auf verbesserte Zusammenarbeit der Einrichtungen, die mit einem Problem ohnehin befasst sind, und nicht auf Gesetzesänderungen allein. Dies zeigt das künftige Gewaltschutzgesetz. Es verbessert als ersten Schritt zur Umsetzung des Aktionsplans gegen häusliche Gewalt gegen Frauen die zivilrechtlichen Interventionen gegen prügelnde Männer („häuslich“ wird weit definiert: also nicht nur in der Ehe, sondern auch bei eingetragenen Partnerschaften und losen Wohngemeinschaften).

Frauen haben nach dieser geplanten Reform einen Anspruch auf effektive Beratung, und sie können künftig leichter als bisher ihre Rechte beim Familiengericht geltend machen. Sie müssen nicht fürchten, in einem Strafverfahren in der unangenehmen Rolle der Zeugin oder Nebenklagevertreterin gegen einen früheren Partner auszusagen – ohne Aussicht auf effektive Hilfe.

Die Palette der familiengerichtlichen Interventionen ist weit gefächert und lässt sich in der Zukunft noch ausbauen: Gegen den Täter kann das Gericht Schadensersatz und Schmerzensgeld festsetzen, der Situation angepasste bußgeldbewehrte Schutzanordnungen erlassen und die gemeinsame Wohnung der Frau und gegebenenfalls den Kindern zuweisen. Es liegt auf der Hand, dass diese Instrumente dem, was bisher in Strafverfahren praktiziert wurde, vorzuziehen sind.

Diese beim Gewaltschutzgesetz beobachtbare Tendenz zur Zurückdrängung letztlich wenig effektiver strafrechtlicher Interventionen bei gleichzeitiger Verbesserung und Effektivierung der rechtlichen Kontrolle hält an. Auch die geplante Neuregelung der Prostitution (vgl. den rot-grünen Entwurf in Bundestagsdrucksache 14/5958) versucht nicht, Prostituierte durch mehr Strafbarkeit für Kunden zu schützen, mit anderen Worten symbolisches Strafrecht im Glauben, dies führe zur Gleichstellung, zu schaffen, sondern umgekehrt: durch weniger staatliche Einmischung bei verbesserten Rechten für Prostituierte das Strafrecht für klare Regelverstöße (Ausbeutung) zu reservieren. Ansonsten aber darauf zu hoffen, dass die legale Konkurrenz dem herkömmlichen Zuhälterwesen langfristig überlegen sein wird. Anbieterinnen sexueller Leistungen werden als Vertragspartnerinnen anerkannt und damit egalitäres Recht statt undurchsichtiger Protektion mit vorhersehbaren diskriminierenden Effekten geschaffen. Die geplante Neuregelung geht auch nicht den in den Siebzigerjahren vorgeschlagenen Weg, scheinbar formal gleiches Recht für alle Dienstleistungen zu schaffen (Prostitution ist ein Beruf wie jeder andere auch: so immer noch die PDS). Denn das Direktionsrecht eines Arbeitgebers in einem Sexshop würde schnell aus der neuen Rechtstellung ein effektives Instrument der Ausbeutung machen – ganz abgesehen von absurden Streitigkeiten vor Zivilgerichten über angebliche Mängel der sexuellen Dienstleistung.

Die Gesetzgebung hat also mittlerweile gelernt und differenziert nach situationsspezifischen Besonderheiten. Sie vermeidet die leicht zugängliche strafrechtliche Karte und zieht sie nur noch, wenn es unumgänglich ist. Frauenpolitik emanzipiert sich von den bislang beliebten populistischen, weil rhetorischen Bekenntnissen zu einem Opferschutz mit Mitteln der Strafverschärfung und löst sich von der üblichen Viktimagogie, das heißt von demagogischen Forderungen im Namen des Opfers.

Damit kommen wir zu einem Aspekt, der oft vernachlässigt wird: Die neue Kontrollpolitik ist zwar flexibler, aber sie schafft auch männliche Verlierer. Linksliberale tun sich schwer, die neue Kontrollpolitik zu verstehen. Sie akzeptieren sie, wenn sie antistrafrechtlich ist, kritisieren sie aber, wenn auch mit repressiven Mitteln gearbeitet wird. Antidiskriminierung befreit nicht nur, sondern läuft auch auf eine neue Kontrollpolitik hinaus. In manchen Arenen wird die gesamte staatliche Kontrolle – also auch die mit Mitteln des Strafrechts – verstärkt, in anderen wird lediglich ineffektives Strafrecht ersetzt durch effektiveres Zivilrecht oder flexibles Verwaltungs- und Polizeirecht (so die Gesetzestechnik im demnächst geltenden Gewaltschutzgesetz bei häuslicher Gewalt). Implementiert wird dieses neue präventive Zivilrecht durch verschiedene flankierende Regelungen, etwa durch eine verbesserte Beratung aller Betroffenen und der Vernetzung unterschiedlicher Kontrolltechniken zu einem einheitlichen Vorgehen. Erst dieses neue Interventionsrecht kann auf strukturelle Gewalt und asymmetrische Gewaltverhältnisse angemessen reagieren.

Aber machen wir uns nichts vor: Anachronistische Männlichkeitsinszenierungen (der Kampf um Anerkennung und Respekt in männlichen Subkulturen, sexuelle Gewalt, häusliche und fremdenfeindliche Gewalt) werden künftig auch routinierter kriminalisiert werden als bisher. Von einer undifferenzierten Verschärfung des Strafrechts unterscheidet sich die neue Kontrollpolitik dennoch, weil sie alternative Wege geht (gemeint sind: Schadensersatz, Schmerzensgeld, bußgeldbewehrte Schutzanordnungen und die Zuweisung der gemeinsamen Wohnung neben oder statt Strafe) und die jeweiligen Reaktionen flexibler gestaltet.

Fragen wir also, ob die neue Kontrollpolitik aus der Perspektive der betroffenen Männer fair ist. Bei einer verstärkten Gewaltprävention, die Opferschutz anstrebt und Viktimagogie vermeidet, wird kein Liberaler prinzipielle Einwände formulieren können, die überzeugen. Die ungleiche Betroffenheit bestimmter Männergruppen hat ihren Grund nicht in deren Lebensform – etwa in bestimmten Sexualauffassungen –, sondern in ihrem gewalttätigen Verhalten. Gewaltbereitschaft verdient alles andere als Artenschutz. Sie kann unter keinem denkbaren Gesichtspunkt als männliche Identität hingenommen und akzeptiert werden.

Auch die Tatsache, dass es ohnehin schon marginalisierte Männer der Unterschichten sind, die verstärkt kriminalisiert werden, ist nicht Folge ungleicher Nutzung von Recht, sondern Folge des in dieser Gruppe sich häufenden gewalttätigen Verhaltens. Körperliche Gewalt ist eben ein Phänomen männlicher Marginalisierung. Strafrechtliche Sanktionen verstärken sie, aber sie schaffen sie nicht ab. Es führt also kein Weg an einer differenzierten Kontrollpolitik vorbei.

MONIKA FROMMEL, 54, ist seit 1992 Direktorin des Instituts für Sanktionsrecht und Kriminologie an der Universität Kiel. Sie ist eine von insgesamt nur vier Professorinnen für Strafrecht und Kriminologie in Deutschland