Jobkiller Finanzsektor

Die WestLB baut ein Zehntel ihrer Arbeitsplätze ab. Laut Studie wird in der gesamten Branche jeder zehnte Job wegfallen. Ver.di rechnet sogar mit Verlust jeder fünften Stelle

HAMBURG/DÜSSELDORF taz/dpa ■ Am Samstag trat der neue Vorstandsvorsitzende der Westdeutschen Landesbank (WestLB) Jürgen Sengere sein Amt an und verkündete direkt einen umfangreichen Stellenabbau. Bis zum Jahr 2004 will die größte deutsche Landesbank rund 1.500 Arbeitsplätze, das ist mehr als jede zehnte Stelle, streichen. Der Schritt sei notwendig, sagte Sengera, um sich auf den Wegfall der Staatsgarantien Mitte 2005 einzustellen. Dann muss die WestLB selbst für die Geschäftsrisiken haften.

Die von von Sengere präsentierten Zahlen werden kein Einzelfall in der deutschen Banken- und Versicherungsbranche bleiben. Vielmehr bestätigen sie die Prognosen einer Studie, die das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums erstellt hat. Dort heißt es, dass die Branche bis zum Jahr 2005 ein Zehntel aller Arbeitsplätze – über 100.000 Stellen – abbauen wird. Langfristig könnten sogar noch mehr Jobs verschwinden. Brisanz verleiht der ZEW-Studie, dass sie auf der Befragung von Insidern basiert und daher tatsächlich mit dem massiven Stellenverlust zu rechnen ist. Die Branchenangehörigen prognostizieren eine Verringerung von bis zu 10 Prozent der gegenwärtig Beschäftigten im Finanzsektor – die WestLB eilt dem Trend voraus.

Mehrere Gründe tragen zu dem Szenario bei. Zwar boomen die Finanzmärkte, aber viele Vorstände haben ihren Konzernen überaus ehrgeizige Gewinnziele gesteckt, die eine jährliche Rendite auf das Eigenkapital von 15, 20 oder mehr Prozent vorschreiben und durch einfaches Wachstum nicht zu verwirklichen sind. So dreht manches Management kräftiger an der Kostenschraube und spart Personal. Zugleich wurde mit der Fusion Allianz/Dresdner Bank keineswegs das Ende der aufsteigenden Fusionsspirale erreicht. Große grenzüberschreitende Zusammenschlüsse sind nämlich immer noch selten, erst der Euro wird diese beflügeln.

Auch der deutsche Markt ist sich im Umbruch. Die Beseitigung der staatlichen Garantien durch die Europäische Kommission betrifft neben der WestLB alle Sparkassen und ihre Landesbanken und macht den Weg frei für Privatisierungen und Fusionen. Zugleich weckt sie bei den Großbanken Hoffnungen, durch die Übernahme großer Sparkassen rasch lukrative Privatkunden zusammenkaufen zu können. „Die Konzentration in der Allfinanzbranche geht weiter“, erwartet daher Wilhelm Alms, Chef der Hamburger Unternehmensberatung Mummert + Partner.

Parallel entstehen Bankfabriken. Insbesondere Zahlungsverkehr, Datenverarbeitung und Wertpapiergeschäft sollen industrialisiert und die Arbeit rationalisiert werden. So eröffnete die Commerzbank vergangene Woche den größten Handelssaal in Europa. 500 Devisen- und Wertpapierhändler spekulieren nun in einer einzigen 150 Meter langen Halle. Der Riesensaal ist Teil eines Dienstleistungszentrums für 4.600 Mitarbeiter, die im Hintergrund das eigentliche, bundesweite Bankgeschäft der Commerzbank abwickeln. Diese Industrialisierung bietet den Vorständen ganz neue Rationalisierungschancen, und viele kleine Banken und Versicherungen werden am neuen Kostendruck der Finanzfabriken zugrunde gehen. Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Ver.di) befürchtet daher langfristig sogar den Verlust von 200.000 Arbeitsplätzen bei Banken und Versicherungen. Ver.di-Experte Uwe Foullong fordert daher eine „innovative Geschäftspolitik“. Statt einseitig Kosten zu reduzieren, brauche die Branche wachstums- und kundenorientierte Konzepte, die mehr Umsatz und Gewinn brächten. Erste Ansätze dafür sieht Fullong bei der Dresdner Bank, die nach dem Zusammenschluss mit der Allianz „ihrem Schrumpfungskonzept abgeschworen“ habe, und bei einigen Direktbanken, die inzwischen Filialen eröffnen und verstärkt Beratung per Telefon anbieten. Dies schafft Jobs. H. PFEIFFER