Träume von Individualität

■ Farbfotografien im Medienzentrum zeigen Menschen in Lieblingsklamotten und an Lieblingsorten. Dass die Bilder zuweilen aussehen wie (gute) Werbung liegt nicht zuletzt am Sujet

Ralf C. Schreier wurde in Bottrop-Kirchhellen geboren, ist 31 Jahre alt, studiert im 4. Semester Grafik-Design an der Hochschule für Künste und man wird von ihm noch hören. Beziehungsweise sehen.

Seit gestern sind in der Fotogalerie im Medienzentrum in Walle neunzehn seiner Bilder ausgestellt, Arbeiten hart am Rand der Perfektion. „Dressed to show“ zeigt Menschen in ihrem Lieblings-Outfit, an ihrem Lieblingsort, und so wie Ralf Schreier sie abgelichtet hat, sind es neunzehn verschiedene Träume von Individualität.

Ein durchscheinender Engel im Gegenlicht der Theaterscheinwerfer, auch das Gestühl ist reine Lichtstruktur. Ebenfalls im Gegenlicht eine trotzige Pose in einer Schwulendisco in Asendorf. Ein kräftiger Mann im schwarzen Rolli und in schwarzen Schuhen mit bloßem Unterleib an einem Kanal, wie er banaler nicht sein könnte. Eine junge Frau in ihrer Waschküche mit rotem Rippenpulli, Konfirmations-Goldkettchen und Latexkleid. Eine andere steht kurzgeschoren im Brill-Tunnel und lässt sich ihr Gesicht von einer Stola rahmen. Wieder eine andere lehnt in Leder und Latex am Fensterrahmen eines Abbruchhauses, draußen huscht eine ältere Frau im hellen Trench vorbei und trägt eine Einkaufstasche.

Ralf C. Schreiber hat für solche Szenen einen Blick – sie werden vor Ort nicht gestellt, kommen ohne Regieanweisung und Gepose aus. Die junge Frau im aggressiven Leder-Outfit wird zu einer zarten, fast ängstlichen Figur, die sich vor der Normalität in Gestalt einer Trenchcoat-Trägerin aus gutem Grund versteckt.

„Dressed to show“ ist – man mag es kaum glauben – das Ergebnis eines Grundkurses Fotografie. Aber das Fotografieren habe er schon vorher gekonnt, so Schreier, der sich für das Studium mit einer heimlich fotografierten Serie „Sex-Kinos von innen“ beworben hat. „Was ich an der Hochschule gelernt habe, ist, konzeptionell zu arbeiten“, sagt er. „Wenn ich einen Monat nur Hinterköpfe fotografiere, dann sehe ich Dinge, die ich sonst nicht gesehen hätte.“

Die Fotografien, die Schreier jetzt ausstellt werden auch formal zusammengehalten. Sie sind alle im farbigen Hochformat und arbeiten nur mit vorhandenem Licht. „Man braucht eine Form“, sagt der Künstler, „sonst fliegt die Serie auseinander. Im Grunde wollte ich so eine Art Familie von Individuen zeigen.“

Wären die Fotos schwarz-weiß, manche von ihnen würden strotzen vor Melancholie und anderen existentiellen Gefühlen. Auch in Farbe ist das Bild umwerfend schön, aber in seiner ruhigen, perfekten Machart ist es hart am Rand der Werbung. Derjenigen Werbung nämlich, die am Marktplatz der Individualitäten ihre Zelte aufgeschlagen hat. Parfum von Calvin Klein oder Boss fällt einem beim Foto der zarten Latex-Bekleideten ein. Die Pose des Travestiekünstlers auf dem Herrenpissoir könnte so wie sie ist als West-Reklame mit ihrem Abfeiern schriller, oberflächlicher Individualitäten durchgehen. Und die blasse Frauengestalt im pastellfarbenen Sommerkleid, die als „Engel der Verdammten“ in einem Abbruchhaus in Oberneuland posiert, wäre womöglich sogar H&M-tauglich.

Die Nähe zur Werbung ist nicht das Erste, was einem zu den Bildern einfällt, zum Glück auch nicht das Letzte. Berührungsängste hat Schreier als Grafik-Design-Student ohnehin nicht, die Werbebranche als künftigen Auftraggeber kann er sich „gut vorstellen“. Für sein „Dressed-to-show“-Projekt hat er selbst und originell geworben. Auf einem selbstgebastelten Filmstreifen, verpackt in durchsichtige Filmdosen hat er in einem Leder/Latex-Laden im Viertel nach Menschen gesucht, die sich und ihre Lieblingsklamotten zur Schau stellen. Auch ein Designer-Laden im Ostertor diente als Multiplikator.

Dass sich in diesen zeigefreudigen Zeiten dann doch „nur“ 19 Menschen gemeldet haben, ist geradezu verwunderlich – die aber werden mit ihren Bildnissen sehr zufrieden sein. Ralf Schreier zeigt von ihnen nicht mehr als das, „was die Leute von sich aus anbieten“. Insofern ging es ihm nicht darum, zu demaskieren, zu brüskieren oder Aussagen zu produzieren, die die Darsteller entlarvt hätten. Der Künstler hat seine Motiv-Menschen mit gebührendem Respekt behandelt. Vielleicht hat er sogar ihrem Wunsch nach Persönlichkeit und Einzigartigkeit zu einem wichtigen Ausdruck verholfen. Und dieser Wunsch ist offensichtlich stark. Die Klamotten wie auch die Örtlichkeiten spiegeln eine unglaubliche Ambition in Sachen „Ich“. Verlassene Häuser, alte Regionalzüge, Friedhöfe, Schwulendiscos – allüberall der Wunsch, dem Standard zu entgehen. Als wäre nicht Individualtät mittlerweile der gefragteste Standard. Elke Heyduck

Bis 14. Oktober, täglich von 16.30 bis 22 Uhr