Markt des Wissens

Der Kulturhistoriker Peter Burke hat einen fesselnden Essay über Geschichte und Grenzen der Wissensgesellschaft seit dem Mittelalter geschrieben

Stets mussten sich Wissenschaftler den Interessen ihrer Herrscher anpassen

von JAKOB VOGEL

Glaubt man dem Ruf der modernen Propheten, so erleben wir derzeit den Anbruch einer neuen Zeit: der so genannten Wissensgesellschaft. Vor allem die IT-und-Computer-Branche rühmt sich, mit ihren Produkten den Weg zur „wissensbasierten Gesellschaft“ zu ebnen. Unter dem Stichwort des „Wissensmanagements“ hat die Diskussion längst die seriöse Wirtschaftspresse und die betriebswirtschaftlichen Lehrstühle der Universitäten erreicht, wo inzwischen „Wissen“ als neuer „Produktivfaktor“ gefeiert wird. „Vernetzung“ und „lebenslanges Lernen“ heißen die Devisen, die auch Politiker begierig aufgreifen. Stolz zählen sie vor, wie viele Computer in den Schulen angeschlossen wurden, und versuchen so, ihre ansonsten inhalts- und richtungslose Bildungspolitik zu kaschieren.

In der allgemeinen Euphorie wird allerdings die vage inhaltliche Definition der Wissensgesellschaft ebenso wenig in Frage gestellt wie die angebliche Neuartigkeit des Phänomens. So verweisen einige gern auf die in allen Lebensbereichen gestiegene Bedeutung von naturwissenschaftlichem Wissen (Stichwort: Biowissenschaften), andere wiederum auf den rapide wachsenden Einfluss von Computern, Internet und Suchmaschinen als Speicher und Verbreiter des Wissens. Software oder Hardware, welchem Element bei der Bestimmung der Wissensgesellschaft die entscheidende Bedeutung zukommt, ist ebenso wenig entschieden wie ihre präzise historische Einordnung.

Erstaunlicherweise ist die Debatte um die Wissensgesellschaft bislang weitgehend ohne die Historiker geführt worden, und dies trotz einer außerordentlich fruchtbaren neueren Wissenschaftsgeschichte. Umso besser ist es daher, dass sich der englische Kulturhistoriker Peter Burke in seinem neuen Buch der „Geburt der Wissensgesellschaft“ zwischen Renaissance und Aufklärung zuwendet. Er unterstreicht dabei vor allem, wie radikal die Erfindung des Buchdrucks die Verarbeitung, Speicherung und Verbreitung von Informationen verändert hat.

Zudem hätten die Entdeckungen in der außereuropäischen Welt die Neugierde der Zeitgenossen angeregt, so dass sie begierig neues Wissen sammelten und in ihr Weltbild einzuordnen versuchten. Mit dem Hinweis auf die „Wissensexplosion“ der Frühen Neuzeit relativiert Peter Burke die beliebte These von der Neuartigkeit unserer heutigen Informationsgesellschaft. Gradueller Wandel, nicht Revolution zeige sich dem Historiker beim Blick auf die Geschichte des Wissens seit dem ausgehenden Mittelalter.

In seinem äußerst umfangreichen Essay über die „Sozialgeschichte des Wissens“, so der präzisere englische Titel, präsentiert Burke ein ebenso breites wie buntes Bild jener Umstände, unter denen das Wissen in der Frühen Neuzeit zusammengestellt, klassifiziert und verbreitet wurde: Seit der Renaissance wurden die Gelehrten, Kleriker ebenso wie gebildete Laien, zu Trägern einer neuen Kultur des Wissens, die sich nicht nur an den Universitäten, sondern zunehmend auch in den Vorhöfen der staatlichen und kirchlichen Macht etablierte. Neben den klassischen Lehranstalten stiegen dabei Akademien, Observatorien, Mineralien- oder Kuriositätenkabinette (die Vorläufer der Museen) zu begehrten Wirkungsstätten einer wachsenden Zahl von „Hofgelehrten“ auf.

Die Lebensgeschichte Galileis oder die des Wiener Alchemisten Johann Joachim Becher zeigt aber auch, dass diese privilegierte Situation am Hofe ihren Preis forderte. Denn die Wissenschaftler hatten sich nicht nur den höfischen Umgangsformen, sondern auch den politischen und wirtschaftlichen Interessen der Herrscher anzupassen. Staat und Kirche, die entscheidenden Förderer des neuen Wissens, waren von Anfang an bemüht, dessen Produktion und Verbreitung in strikten Grenzen zu halten. Da die Kontrolle des Wissens eine wichtige Grundlage ihrer Macht bildete, erschien die Bündelung der Informationen in der Hand des Fürsten ebenso legitim wie die Anwendung der Zensur oder der Inquisition.

Allerdings verhinderten diese Methoden nicht die Entstehung eines regelrechten „Marktes“ des Wissens, an dem sich auch die Buchdrucker durch Raub- und Nachdrucke rege beteiligten. Die Gelehrten traten ebenfalls als Wissensunternehmer in Erscheinung, indem sie je nach Marktlage ihre Kenntnisse den unterschiedlichsten Herren anboten.

Folgt man den faszinierenden Streifzügen des Autors durch die Geschichte des Wissens in der Frühen Neuzeit, erhält man eine Vielzahl von interessanten Einblicken in eine Zeit, die bereits eine ganze Reihe von vermeintlich modernen Züge unserer heutigen Wissensgesellschaft vorwegnimmt. Manch spannender Gedanke wird von Burke allerdings mehr angerissen als ausgeführt, etwa sein Hinweis auf den eingeschränkten Zugang zu den frühneuzeitlichen Bibliotheken, Museen und Sammlungen, über die sich die neuen Wissenswelten überhaupt erst den angehenden Gelehrten eröffneten. Dieser Gedanke hätte sich zudem bis in unsere Zeit verlängern lassen: Auch heute sind weder Forschungsbibliotheken noch Museumsarchive, ja nicht einmal Internetzugänge frei verfügbar.

Schwerer als dieser Einwand wiegt, dass der Autor sich nur auf die Sozialgeschichte des Wissens beschränkt, also in erster Linie die sozialen Bedingungen des Wissens betrachtet, aber kaum dessen Inhalte in den Blick nimmt. Die Vernachlässigung der „Software“ führt ihn etwa dazu, von einer „wissenschaftlichen Revolution“ der Frühen Neuzeit zu reden, obgleich Historiker die damit verbundene Vorstellung von einer radikalen Umwälzung des wissenschaftlichen Denkens längst in Frage stellen. Trotz dieser Kritik: Burkes Essay ist fesselnd geschrieben und lässt am Ende manch allzu euphorische Aussagen der Propheten der Wissensgesellschaft auf eine vernünftige Größe schrumpfen – ein großes Verdienst in einer Debatte, die oftmals von erstaunlich fortschrittsgläubigen Positionen bestimmt wird.

Peter Burke: „Papier und Marktgeschrei. Die Geburt der Wissensgesellschaft“. Aus dem Englischen von Matthias Wolf. Wagenbach Verlag, Berlin 2001, 318 Seiten, 48 DM (24,80 €)