Experimentator macht Ernst

Der wohl spielerischste Philosoph wird systematischer: Slavoj Zizek liest heute im Literaturhaus aus „Die Tücke des Subjekts“  ■ Von Sven Opitz

Erkenntnis ist eine Einbahnstraße, die man nur in entgegengesetzter Richtung befahren sollte. So oder so ähnlich hält es zumindest der slowenische Philosoph Slavoj Zizek. In dem bei Merve erschienenen Band Liebe Dein Symptom wie Dich selbst! erklärt er kurzerhand, sein Interesse bestehe keinesfalls darin, anhand der Schriften des Psychoanalytikers Jacques Lacan etwas über die Filme Hitchcocks zu erfahren. Vielmehr wolle er der Frage folgen, was Hitchcock zum Verständnis der kryptischen Ausführungen Lacans beitragen könne. Theorie und Alltagskultur tauschen auf diese Weise ihre Plätze und treten in ein ungewöhnliches Austauschverhältnis.

Zizeks analytische Aufmerksamkeit gilt dabei in erster Linie den Symptomen seiner Gegenwart. Das Tamagotchi zum Beispiel helfe seinen Benutzern dabei, ein Bedürfnis nach Nächstenliebe in aller Stille zu befriedigen. Denn das virtuelle Haustier der 90er Jahre bereitete seinen Haltern gerade dadurch große Freude, dass es permanent ihre Fürsorge einforderte. Die Potenzpille Viagra dagegen wird als „Agentin der Kastration“ entlarvt. Indem sie die Errektion in einen mechanisch erzeugbaren Zustand verwandelt, vergrößere sie zwar den Penis, entwerte aber den Phallus als Signifikanten der Macht. An anderer Stelle schließlich übersetzt der Philosoph den alten Werbeslogan „Coca Cola, that's it!“ kurzerhand in die Erkenntnis, das Getränk sei das Freudsche Es – und zugleich das perfekte Konsumgut: Je mehr man davon trinkt, desto durstiger wird man.

Allerdings sollte der spielerische Charakter dieses Denkens nicht über die Ernsthaftigkeit von Zizeks Anliegen hinwegtäuschen. Vor allem in jüngeren Publikationen geht es ihm um nichts Geringeres als den Entwurf einer postmodernen Ethik. Ethik behandelt traditionell die Beziehung zwischen den Menschen und stellt die großen Fragen der Gerechtigkeit, der Verantwortung und Anerkennung des Anderen, und auch Zizek möchte an diesen Problemen weiterarbeiten. Postmodern wird seine Ethik dadurch, dass er weder einen von allen geteilten Horizont verbindlicher Werte, noch ein kohärentes Subjekt voraussetzt. Entsprechend wirft er dem liberalen Multikulturalismus vor, in seinem Harmoniestreben den „traumatischen Kern des Anderen“ abzuschaffen, der sich jenseits der vernünftigen Kommunikationsgemeinschaft offenbare.

Üblicherweise erschließen Zizeks Ausführungen seine Gegenstände nicht systematisch. Sie überschreiten sie vielmehr in der effektvollen Umkehrung gängiger Sichtweisen. Seine Argumentation kommt nicht zum Punkt, sondern verteilt die Punkte im Textraum. Bisher in letzter Konsequenz demnach weniger Theoretiker als Experimentator, scheint Zizek dieses Verhältnis mit seinem neuen Buch, Die Tücke des Subjekts, umkehren zu wollen. Denn mit dem über 500 Seiten umfassenden Werk liegt so etwas wie eine theoretische Zusammenfassung seiner bisherigen Arbeit vor. Über längere Passagen hinweg werden Auseinandersetzungen mit anderen Denkern geführt, die zuvor in einem Halbsatz abgekanzelt wurden. Mit der Folge, dass Zizek durch diese diskursive Anbindung nun selbst Angriffsfläche bietet.

Aber auch wenn Die Tücke des Subjekts auf der einen Seite eine systematische Abhandlung etwa des deutschen Idealismus oder der postmodernen politischen Philosophie vollzieht: Auf der anderen Seite steht immer noch der Slavoj Zizek, der die Ökonomien der Aufmerksamkeit geschickt mit großer Geste für sich arbeiten lässt. Der im Handumdrehen das ganze Buch zu einer Verteidigung des cartesianischen Subjekts erklärt und sich damit in eine Frontstellung zur gesamten gegenwärtigen Philosophie begibt. Wen kümmert's, dass im Nachhinein vom cartesianischen Subjekt kaum etwas übrig bleibt? Einem Abend mit Zizek kann diese Tendenz zu performativer Emphase schließlich nur zugute kommen.

heute, 19 Uhr, Literaturhaus