„Kubrick würde immer noch drehen“

Jan Harlan bereitete mit Stanley Kubrick das Projekt „Artificial Intelligence“ vor, das nach dessen Tod von Steven Spielberg umgesetzt wurde. Der Produzent über Kubricks Vision von „A. I.“, seine Musik und die Idee eines radikalen Sexroboters

Interview KATJA NICODEMUS

taz: Als Stanley Kubricks Schwager und Produzent haben Sie mehr als dreißig Jahre mit ihm zusammengearbeitet. Nach seinem Tod sind Sie gewissermaßen „Kubrick’s Keeper“ . . .

Nach Stanley Kubricks Tod stand ich natürlich vor einem Abgrund. Daher war ich sehr froh, als sich die Möglichkeit ergab, mit dem Film „Stanley Kubrick – A life in pictures“ eine Dokumentation über Stanleys Leben und Arbeiten zu erstellen. Dass ich Kubrick Projekt „Artificial Intelligence“ dann zusammen mit Steven Spielberg realisieren konnte, macht mich sehr stolz und wäre sicherlich auch in Stanleys Sinne gewesen.

Die Regie ging bereits vor Kubricks Tod an Spielberg über. Wie kam es dazu?

Wir haben diesen Film bereits 1985 vorbereitet. Kubrick war von dem Thema völlig fasziniert, er hatte die Rechte an Brian Aldiss’ Kurzgeschichte „Super Toys last all summer long“ schon 1983 gekauft. In dieser Zeit ging auch die Entwicklung der elektronischen Spielzeuge mit riesigen Schritten voran, und Kubrick bekam immer mehr Lust auf den Stoff. Noch dazu gab es schon über 600 Bildentwürfe. Er selbst kam dann aber auf die Idee, dass Spielberg vielleicht der bessere Regisseur für dieses riesige Märchen wäre. Ein Teil von Kubricks Genie bestand eben darin, seine eigenen Grenzen zu erkennen. Mit Spielberg verband ihn eine der für ihn typischen Telefonfreundschaften, die beiden hatten sich bereits Ende der 70er-Jahre kennen gelernt, als Spielberg in England „Jäger des verlorenen Schatzes“ drehte. Und so bot er Spielberg 1994 oder 1995 an, das Steuer zu übernehmen.

Was war zwischen Kubricks eigenen Vorbereitungen des Films und dem Entschluss, sich selbst aus dem kreativen Teil herauszuziehen, passiert? Immerhin liegt dazwischen fast ein Jahrzehnt.

Kubrick kam gewissermaßen sein eigener Perfektionismus in die Quere. Wie Sie wissen, zog sich die Arbeit an seinen Filmen immer über sehr lange Zeiträume hin. Er wollte „Artificial Intelligence“ nicht mit einem menschlichen Hauptdasteller drehen, weil er Angst hatte, dass sich der Junge im Lauf der Dreharbeiten verändern könnte. Und es wäre sehr schwierig gewesen, einen zehnjährigen Darsteller zu finden, der aufhört zu wachsen – selbst für einen Stanley-Kubrick-Film (lacht). Daher versuchten wir, einen künstlichen Jungen zu bauen, einen Roboter. Aber das ging völlig nach hinten los und wirkte kein bisschen echt. Es war geradezu lächerlich. Also beschlossen wir, zu warten, bis die Computergrafik weit genug wäre, um diesen Jungen virtuell zu erzeugen. In der Zwischenzeit beschäftigte sich Kubrick aber mit Schnitzlers Traumnovelle, die dann zu dem Film „Eyes Wide Shut“ führte. Nach Kubricks Tod kamen wir auf seinen Vorschlag zurück, dass Spielberg die Regie übernehmen sollte. Der machte das Projekt dann auch künstlerisch zu seinem eigenen.

Im zweiten Teil des Films gibt es eine Reise durch Raum und Zeit, die strukturell an „2001: Odyssee im Weltraum“ erinnert, war das als bewusstes Zitat gedacht?

Nur in einer Verneigung vor dem Unbekannten und vor dem, was wir nicht wissen. Das ist natürlich in „2001“ noch viel klarer. Der Film ist ja eine einzige Verbeugung vor einem Schöpfer, der nicht erkennbar ist und unerkennbar bleibt. Kubrick war zwar keinesfalls religiös, aber ohne Frage doch ein geistlicher Mensch, der großen Respekt vor der Schöpfung hatte. Insofern ist davon auch in „Artificial Intelligence“ etwas übrig geblieben.

Hatten Sie nie das Gefühl, dass Steven Spielberg der Geschichte einen süßlichen Unterton verliehen hat, der bei Kubrick so nicht vorstellbar gewesen wäre?

Nennen Sie es süßlich, aber mir gefällt gerade die Vorstellung, dass die künstliche Intelligenz der Zukunft nur die besten Eigenschaften der Menschen übernimmt. Aggression, Missgunst, Eifersucht und Gewalt sind überwunden, dafür herrschen Freundlichkeit, Nachsicht, Frieden und Toleranz. Im Großen und Ganzen befanden sich alle diese Elemente bereits in Kubricks Drehbuchentwurf, auch die Rückkehr der Mutter nach 2.000 Jahren. Selbstverständlich kann es sein, dass der Film bei Kubrick kälter und ernster geworden wäre, aber es geht hier ja nicht um Werktreue.

Es heißt zum Beispiel, dass der von Jude Law gespielte Sex-Roboter in Kubricks Vorstellung an bestimmten Tabus rühren sollte, während er jetzt ein eher niedlicher Blechgigolo ist.

Wenn Kubrick diesen Film gemacht hätte, wären die Dreharbeiten wahrscheinlich immer noch nicht beendet. Außerdem hätten wir endlose Kämpfe ausfechten müssen, um eine einigermaßen akzeptable Altersfreigabe zu bekommen, denn in die Figur des Gigolo Joe hat sich Stanley tatsächlich reingesteigert. Spielberg hat aus dieser Figur einen fröhlichen, gewitzten großen Bruder für David gemacht. Bei Stanley war die Sexmaschine ein sehr ernster, dunkler Roboter, der in sexueller Hinsicht bis zum Äußersten gegangen wäre.

Wäre nicht gerade die Verbindung von Sex und Maschinen ein interessanter Aspekt des Themas gewesen?

Es war von Anfang an klar, dass Spielberg der Geschichte einen märchenhafteren Ton geben würde. Daher hat er die Figur des Gigolo zugunsten des kleinen Jungen reduziert. Ich finde, dass ihm auf diese Weise ein wunderbar poetischer, lyrischer Film gelungen ist, der Kubrick mit Sicherheit gefallen hätte.

Auch was die von Spielberg gewählte Musik betrifft?

Die wäre bei Kubrick sicher anders geworden. Ich weiß, dass er den Rosenkavalierwalzer sehr in den Vordergrund gestellt hätte. Davon ist in Spielbergs Film nur eine winzige Andeutung übrig geblieben. Musik spielte ja in allen Kubrick-Filmen eine ganz wichtige Rolle und diente nie nur der Untermalung.