„Andere Opfer nicht vergessen“

AfghanInnen, Friedensbewegung und KünstlerInnen demonstrieren gegen Eskalation der Gewalt und Antiislamismus  ■ Von H. Dierbach, A. Speit und G. Knödler

Eben noch hat der Mann am Mikrophon mit kräftiger Stimme gerufen. „Taliban raus aus Afghanistan! Bin Laden raus aus Afghanistan!“ Jetzt kommt aus den Lautsprechern nur noch ein leises Schluchzen. Alle in der Menge sind bestürzt, dass der Anführer des afghanischen Widerstandes, Ahmad Schah Massoud, nach einem Attentat (taz berichtete) seinen Verletzungen erlegen ist. Um gemeinsam zu trauern, auch um die Opfer der Anschläge in den USA, trafen sich am Sonnabend Vormittag rund 400 Hamburger AfghanInnen am ZOB.

Sie kamen auch, um zu warnen, dass ein Vergeltungsschlag gegen Afghanistan viele Unschuldige treffen würde. Alle haben Angst um ihre Verwandten dort. So wie die 18-jährige Schabnan. Die Schülerin der Ida-Ehre-Gesamtschule in Eimsbüttel beklagt, dass viele jetzt den Islam mit Terror gleichsetzen. Eine muslimische Freundin sei schon von jüngeren Schülern „angemacht“ worden. „Dabei ist der Islam ganz anders.“ Auf Anregung eines Lehrers will Schabnan nun einen Vortrag in der Klasse halten.

Zu der Kundgebung aufgerufen hatte auch die Gesellschaft für bedrohte Völker. Deren Vorsitzender Tilman Zülch sagte, „wer sich jetzt mit den Opfern in den USA solidarisiert, darf die Opfer der Taliban in Afghanistan nicht vergessen“. Um den Fundamentalismus zu bekämpfen, müsse man vor allem die demokratische Opposition im Land stärken.

Auch die Hamburger Friedensbewegung wird langsam aktiv. Rund 1000 Menschen beteiligten sich gestern Mittag an einer Demonstration „Wider die Logik der Eskalation“ durch die Innenstadt, zu der verschiedene Initiativen und der Regenbogen aufgerufen hatten. „Die Gefühle dürfen nicht den Verstand beeinflussen“, sagte Lühr Henken vom Hamburger Forum für Völkerverständigung und weltweite Abrüstung. Mustafa Yadas, stellvertretender Vorsitzender der Schura, einem Zusammenschluss von 48 islamischen Gemeinden in Hamburg, warnte vor einem „Antiislamismus“ und bat: „Gehen sie auf ihre muslimischen Nachbarn zu.“

Nachmittags folgten rund 400 Menschen am Jungfernstieg der Trommelgruppe „Quinta Feira“, die zusammen mit anderen MusikerInnen und KünstlerInnen einen Friedensumzug um die Binnenalster organisiert hatte. Die TeilnehmerInnen kamen in weißer Kleidung, mit weißen Bettlaken, manche auch mit einer weißen Rose. Viele DemonstrantInnen kritisierten, dass über gerechtfertigte allgemeine Betroffenheit wichtige Punkte vergessen würden. Zum Beispiel die Frage: „Warum hasst man Amerika so?“ Oder: „Was kann man mit Gegengewalt erreichen?“