Entleibte Lobbyisten

■ Früher konnte es einem durchaus den Kopf kosten, sich für die Kaufleute einzusetzen/ Ab heute feiert die Bremer Handelskammer selbstbewusst Jubiläum

Ja, das waren noch Zeiten, als es lebensgefährlich sein konnte, für die Sache der Kaufleute einzutreten. 1654 zum Beispiel verlor ein Rechtsgelehrter mit dem Namen Burchardus Lösekanne mitten auf dem Bremer Marktplatz erst seine beiden Schwurfinger und dann seinen Kopf, weil er für die Schweden spioniert haben sollte. Vor allem aber dürfte der Unglückliche dem Rat der Stadt gehörig auf den We-cker gefallen sein, weil er zu lautstark für die Rechte der Kaufmannschaft eingetreten war.

Heute ist natürlich alles ganz anders. Kein Scharfrichter entleibt mehr kritische Lobbyisten, und selbst die widerspenstigsten Grünen sind nicht mehr in der Lage, auch nur ein einziges der vielen zukunftsfrohen Verkehrs-, Häfen- oder Spaßparkprojekt zu morden, die der Handelskammer so am Herzen liegen. Die Bremer Politik habe sich den Interessen der Wirtschaft eben angenähert, freut man sich im Schütting, während man selbst auf Kurs geblieben sei. Mit derartigem Selbstbewusstsein ausgestattet begeht die Handelskammer mit ihren 29.000 bremischen Mitgliedsunternehmen ab heute ihr 550jähriges Jubiläum.

Damit könne man auf die längste Tradition wirtschaftlicher Selbstverwaltung in Deutschland zurückblicken, schallt es stolz vom Marktplatz herüber. Der Beleg ist ein schmales, in Leder gebundenes Buch. Inhalt: „Olde Anstifftung und ordenung des Kopmans van Olderluden und Schafferen ock olden und nien Broderen dusses Huses“ – die „alte Anstiftung und Ordnung des Kaufmanns, von Elterleuten und Schaffern, auch neuen Brüdern des Hauses“.

Am 10. Januar 1451 hatten sich Bremer Kaufleute auf gemeinsame Regeln verständigt, die später in der „Olde Anstifftung“ fixiert wurden. In acht Artikeln hielten sie Organisation und Aufgaben ihrer Gemeinschaft fest; sie regelten die Interessenvertretung gegenüber dem Rat, die Aufnahmebedingungen und einiges mehr. Jahrzehnte danach bestätigte der Rat den Sprechern der Kaufmannschaft – den Elterleuten – offiziell das Recht, Tonnen und Baken auf der Weser zu setzen und „Tonnengeld“ zu erheben. Die Sicherheit auf See war überlebenswichtig für die von der Schifffahrt abhängigen Händler.

Nun haben sich ihre Ahnen auf die Suche nach ihren Wurzeln gemacht. Und damit jeder sieht, dass die Mannen von der Handelskammer genauso traditionsbewusst sind, wie man schon immer wusste, haben sie sich von der Wirtschaftshistorikerin Dr. Lydia Niehoff ein schönes Buch schreiben lassen, das in jeder Hinsicht Anspruch auf das Attribut „gewichtig“ erhebt: „550 Jahre Tradition der Unabhängigkeit“, heißt es, ein großformatiges, über 200 Seiten starkes Werk, das deutlich mache, „wie sehr die bremische Kaufmannschaft zu allen Zeiten den Blick nach vorne gerichtet hat und wie sehr Bremen durch den Einsatz seiner Unternehmen zu der Stadt geworden ist wie wir sie kennen und lieben“ (Vorwort).

Natürlich, diese Chronik der Handelskammer ist eine Selbstdarstellung und entsprechend perspektivisch, das liegt in der Natur der Sache, aber sie ist gut und teuer gemacht: Die Jahrhunderte und Themenblöcke angenehm sortiert, die Titel oft witzig („Zoll ich oder nicht?“ heißt einer zur Zollanschlussfrage), der Inhalt erträglich wissenschaftlich. Die vielen Illustrationen sind ebenfalls schön anzuschauen. Und: Wir lernen etwas über „Smidts Geschick und liberale Handelspolitik“ ebenso wie über Gelage, Spieler und Spione im guten alten Schütting.

Dass das Jubiläumsprogramm heute so richtig startet, hat vor allem mit diesem Bauwerk zu tun: Vor genau 50 Jahren wurde der nach Kriegszerstörungen wieder aufgebaute Schütting erneut seiner Bestimmung übergeben. Und damit jeder versteht, was die Handelskammer zwischen „Tradition und Moderne“ umtreibt, gibt es ab sofort eine Jubiläums-Ausstellung in den historischen Gemäuern zu sehen (wochentags von 8 bis 17 Uhr). Dazu Vorträge über Wirtschaft, Wissen, Kommerz und Bürgersinn. Lebensgefahr besteht nicht. hase