Wie man Türken in Berlin erreicht

Mit Ahmet Algan kandidiert im Wahlkreis 3 in Kreuzberg erstmals ein parteiunabhängiger streng muslimischer Kandidat fürs Parlament. Der Politikanwärter mit Verbindungen zu islamistischen Vereinen hat sehr gute Karten, ins Parlament einzuziehen

Algan scheint nicht nur organisatorisch mit Milli Görüș verbandelt zu sein

von CLAUDIA DANTSCHKE

Jeder Kandidat, so würde man knapp zwei Wochen vor den Berliner Parlamentswahlen denken, versucht derzeit alles, die Aufmerksamkeit auf sich und sein Programm zu lenken. Nicht so der 44-jährige Einzelkandidat im Kreuzberger Wahlkreis 3 – Ahmet Algan. Bis letzten Freitag, als die türkische Wochenzeitung Cumhuriyet Hafta über die Kandidatur Algans berichtete, war diese nur Eingeweihten bekannt. Dabei ist der Vater von sechs Kindern kein Unbekannter hier.

Mit 13 Jahren kam Ahmet Algan 1970 nach Deutschland. Zehn Jahre später gründete er mit seinem Bruder, Aykut Haldun Algan, und anderen die Islamische Föderation Berlin. Sein Bruder war zu diesem Zeitpunkt der Berliner Vorsitzende der „Milli Görüș“ – der größten Organisation des politischen Islam in Deutschland. Nur zwei Monate zuvor, am 9. Dezember 1979, sollen Aykut Haldun Algan und ein weiterer Islamist auf der Jahresversammlung der Milli-Görüș-Organisation „Verein zur Förderung der Hagia Sophia Moschee (Ayasofya Camii)“ angekündigt haben, „dass sie wie Khomeini Revolution machen wollen, dass die christlichen Länder vor ihnen Angst haben müssen und dass in der Moschee Politik gemacht werden müsse“. Zwar sind solche Äußerungen von Ahmet Algan nicht belegt, aber er ist seit 20 Jahren eingebunden ins Vereinsnetzwerk der Milli Görüș.

Neben der Förderation sind die Brüder und weitere Mitglieder des Algan Klans führende Aktivisten im Islamischen Frauenverein Cemiyet-i Nisa, der Islamischen Religionsgemeinschaft e. V. – dessen Vorstand von Milli Görüș-Mitgliedern dominiert wird –, in der Islamischen Stiftung und im 1989 in Ahmet Algans Wohnung gegründeten „Islam-Kolleg e. V.“, dem Trägerverein der „Islamischen Grundschule“. Offiziell vom Stellvertreter zum Vorsitzenden aufgestiegen, ist Algan schon längere Zeit der eigentliche Kopf dieses Vereins, wie es eine interne Liste der Milli Görüș Berlin und ihrer einzelnen Abteilungen vom Oktober 1995 beweist. Nummer 17 ist die Abteilung „Islamische Grundschule“ und der Name des aufgeführten Leiters lautet Ahmet Algan.

Algan, der bei seiner Kandidatur in Kreuzberg auf die Stimmen der „55.000 eingebürgerten Muslime in Berlin“ setzt, scheint aber nicht nur organisatorisch mit Milli Görüș verbandelt zu sein. Die Politik der Organisation besteht darin, den Muslimen in Deutschland ein neues Selbstwert- und Überlegenheitsgefühl gegenüber dem als dekadent empfundenen Westen zu vermitteln und ihren Anhängern islamische Inseln und Hilfe für das Überleben im ungläubigen Alltag zu bieten. Getreu dieser Milli-Görüș-Sichtweise erklärte Algan im Juli 1998 einer Journalistin des ARD-Magazins Kontraste auf die Frage nach den Interessen der türkischen Jugendlichen: „Das muss die deutsche Gesellschaft besser wissen als wir. Die hat uns unsere Jugendlichen weggenommen.“

Nicht ohne Grund hat Algan jetzt seine Unterstützung im Kreuzberger Wahlkreis 3 gesucht. Vom Wrangelkiez bis zur Gneisenaustraße und rund ums Kottbusser Tor kandidieren mit ihm drei weitere türkischstämmige Männer – für die FDP, die Bündnisgrünen und die PDS. Keiner dieser Konkurrenten hat Aussicht, das konservative türkisch-muslimische Wählerpotential für sich zu gewinnen. Der Grüne Özcan Mutlu, der vor zwei Jahren hier sein Mandat gewann, war damals der einzige Kandidat mit Migrationshintergrund. In diesem Jahr haben Mutlus Wähler nun eine breitere Auswahl. Bei einer ähnlichen Wahlbeteiligung wie 1999, als sie bei 55,7 Prozent lag, müssten sich die fünf Kandidaten der größeren Parteien und Ahmet Algan insgesamt 15.000 Stimmen teilen. Schon etwas über 3.000 Stimmen könnten den Sieg bedeuten.

Die Zahl eingebürgerter Milli-Görüș-Anhänger wird allein im Wahlkreis 3 auf bis zu 1.200 geschätzt. Das ist die halbe Miete, reicht aber nicht. Für Unterstützung ist seit dem 24. August allerdings mit der Gründung des „Bündnis für eine gemeinsame Zukunft“ gesorgt. Neben dem Pressesprecher der Milli Görüș, Hasan Akyol, und dem Verwaltungsratsvorsitzenden der Islamischen Föderation, Burhan Kesici, wird das Bündnis vor allem vom türkisch-islamischen Unternehmerverband Müsiad getragen, unter dessen Adresse es auch firmiert. Zwar stellt sich das Bündnis auf Deutsch als Lobby „für die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen der Neu-Bürger“ dar, reduziert aber auf Türkisch diese „Neu-Bürger“ auf türkische Muslime. Als Vertreter von angeblich 70 Prozent dieser Gruppe lautet die Botschaft: Wer die Türken in Berlin erreichen will, kommt an uns nicht vorbei. Und die Initiatoren wollen „geeignete Personen und Parteien unterstützen“ und „versuchen, die Bürger in ihrem Wahlverhalten gemäß den Interessen des Bündnisses zu beeinflussen“. Mit Ahmet Algans Kandidatur beginnt nun der Probelauf.