WIRD DIE PDS VON DEN US-MILITÄRSCHLÄGEN PROFITIEREN?
: Weg ins Bodenlose

In Deutschland ist ein weiteres Opfer des Anschlags vom 11. September zu beklagen: Gregor Gysi, genauer: seine Aussichten, Senator in Berlin zu werden. Erinnern wir uns: Noch vor vier Wochen schien die PDS nur gewinnen zu können. Sie hatte einen brillanten Kandidaten, dem es nur nutzte, von sauertöpfischen westdeutschen Leitartiklern beschimpft zu werden. Ja, eigentlich war schon abgemacht, dass Rot-Rot Berlin regieren würde.

Das ist sehr, sehr lange her. Die PDS, das hat der Dresdner Parteitag verdeutlicht, befindet sich seit dem 11. September in einer No-win-Situation. Sie hat in Dresden nichts falsch gemacht, es gab keinen Aufstand der Gesinnungsfesten, keinen Affekt gegen jede Form praktischer Außenpolitik wie 2000 in Münster. Man einigte sich auf einen moderaten Friedensappell. Damit zielt die Partei auf die pazifistischen Reste der Grünen. Die geräumten Bastionen der West-Ex-Alternativen zu übernehmen und damit im Westen anzukommen – das ist der ewige, unerfüllte Traum der Regionalpartei PDS. Ist dieses Kalkül nun, seit 18.43 Uhr gestern Abend, seit Cruise Missiles in Kabul einschlugen, realistischer geworden? Der erste Eindruck spricht dafür. Die grobkörnigen Bilder erinnern an jene CNN-Aufnahmen aus Bagdad 1991. Zudem scheint die rot-grüne Regierung ernsthaft entschlossen, Deutschland in diesen Konflikt zu involvieren. Kurzum: Die Chancen für die PDS sich als einzig glaubwürdige pazifistische Partei zu profilieren, steigen.

Aber gemach. Noch wissen wir nicht, ob es zivile Opfer gab. Noch ist unklar, ob die USA einen Krieg wie gegen Bagdad entfesseln werden. Noch ist unklar, ob die grüne Strategie, der Politik den Vorrang vor dem Militärischen zu geben, wirklich gestern Abend in Schutt und Asche gefallen ist. Und die Debatte hierzulande ist weitaus komplexer, viel sachlicher geführt worden als 1991. Die PDS hat zu dieser Diskussion bislang außer pro bonum, contra malum, außer der Demonstration eher schlichten Friedenswillens nicht viel beigetragen. Und das ist zu wenig.

STEFAN REINECKE