Küsse und Kartoffeln

Von der kleinen Fingerübung bis zum großen Panorama der Lüste und Leidenschaften: Hector Abad, Andreas Staïkos und Andrew Lindsay schreiben Romane über sinnliches Essen und guten Sex

Dieselben Begriffe beschreiben kulinarische und erotische Genüsse

von DIEMUT ROETHER

Damoklis Dimou will für seine Geliebte Nana die „vorzüglichsten geschmorten Kartoffeln der Welt“ kochen: Er will ihr „Kartoffeln vorsetzen, die kaum wiederzuerkennen und als Kügelchen von einem Zentimeter Durchmesser auch für Repräsentationszwecke zu gebrauchen waren.“ Hingebungsvoll schnitzt der Kochkünstler Damoklis die Kartoffelkügelchen. Seine Liebe zu Nana beflügelt ihn zu den unglaublichsten Kreationen – umso mehr, seit er weiß, dass er in seinem Nachbarn Dimitris Isavridis einen nicht minder begabten Rivalen im Wettstreit um die Gunst der kulinarisch verwöhnten Geliebten gefunden hat. Und so liefern sich die beiden Männer in Andreas Staïkos‘ Roman „Kulinarische Liebschaften“ ein einzigartiges Kochduell: Jeder versucht, den anderen am Herd zu übertrumpfen, um Nanas ungeteilte Zuneigung zu erringen. Glückliche Nana!

„Sagte man nicht, die Liebe einer Frau gehe durch den Magen?“, denkt auch der verliebte Wirt Amaretto, als er überlegt, wie er das Herz der einbeinigen Tänzerin Pia Zanetti für sich gewinnen könnte. Doch leider macht Amaretto in Andrew Lindsays Roman „Karneval der Bäcker“ keine Anstalten, Pia durch seine Kochkünste zu verführen – stattdessen legt er der Angebeteten die Federn gerupfter Gänse vor die Tür. Recht geschieht dem verliebten Wirt, dass Pia ihn verschmäht!

Essen und Erotik: Jahrelang schienen vor allem lateinamerikanische Autorinnen dieses Thema für ihre Romane gepachtet zu haben. Laura Esquivels moderner Klassiker „Bittersüße Schokolade“ war vor einigen Jahren auch im Kino ein Erfolg, und Isabel Allende gelang mit „Aphrodite – Eine Feier der Sinne“ so etwas wie ein Comeback nach dem Tod ihrer Tochter Paula. Jetzt haben offenbar Männer in aller Welt das Thema neu entdeckt: Neben den Büchern des Griechen Andreas Staïkos und des Australiers Andrew Lindsay ist in diesem Herbst auch das „Kulinarische Traktat für traurige Frauen“ des Kolumbianers Hector Abad in deutscher Übersetzung erschienen.

Abads „Traktat“ ist ein Schatzkästlein für Melancholiker: Es enthält wunderbare Sentenzen über die Liebe, das Leben und die Traurigkeit, die man sich beim Lesen auf der Zunge zergehen lassen möchte: „Lebe deine Traurigkeit, betaste sie, entblättere sie in deinen Augen, begieße sie mit deinen Tränen, packe sie in Schreie oder Schweigen, halte sie in Heften fest, schreibe sie in deinen Körper, treibe sie in deine Poren.“ Das Buch enthält Rezepte für alle Lebenslagen: Hähnchen a la cocotte für den Gast, der „ein heimliches Feuer“ in der Phantasie der Ehefrau des Gastgebers entfacht, mit dem abschließenden Ratschlag, nach dem Essen gemeinsam mit ihm zu fliehen – oder die Empfehlung, Whiskey nur dann zu trinken, „wenn du gezwungen bist, schamlos zu lügen; der Whiskey verleiht dir ein undurchdringliches Gesicht, und das erleichtert das Lügen.“

Unübertrefflich ist Abads Rezept für ein melancholisches Gericht: „Blumenkohl im Nebel. Die weißen, traurigen, festen Röschen werden im Wasserdampf gegart. Ganz langsam, mit diesem Geruch, den der Atem hat, der aus einem klagenden Mund kommt, werden sie gedämpft, bis sie weich sind. Füge, wenn sie eingehüllt sind vom Nebel, ihrem dampfenden Dunst, Olivenöl, Knoblauch und etwas Pfeffer hinzu und salze sie mit deinen Tränen.“ Essen regt nicht nur an, es tröstet auch. Manchen hilft es sogar bei Liebeskummer.

Andreas Staïkos‘ Roman ist anzumerken, dass der Autor selbst ein leidenschaftlicher Koch und ein großer Liebhaber der griechischen Küche ist. Hingebungsvoll beschreibt er die Zubereitung der Speisen – und dankenswerterweise sind dem Buch sogar die Rezepte beigegeben, so dass Liebhaber in aller Welt sie nachkochen können. Staïkos‘ Nana ist nicht nur eine verwöhnte Feinschmeckerin, sondern auch eine kundige Kritikerin der Speisen, die die beiden verliebten Herren ihr auftischen. Bei der Beschreibung der Gerichte beweist sie poetische Qualitäten: „Das sind keine Kartoffeln, das sind Küsse. Ganz wie deine Küsse. Und deine Küsse sind die köstlichsten, die ich je gekostet habe . . . Und wie hast du nur diese rotgoldene Soße zustande gebracht?“ Keine Frage: Für Nana und ihre Liebhaber ist das Essen wichtiger als der Sex. Daher verliert Staïkos nicht allzuviel Zeit mit der Schilderung erotischer Szenen: für die Zubereitung der Speisen und ihren Geschmack findet der Schriftsteller immer wieder neue, überraschende Formulierungen – alles, was danach passiert, wird von Nanas Zigarettenrauch vernebelt.

Über gutes Essen zu schreiben, ist mindestens so schwierig wie über guten Sex. Wer es versucht, merkt, dass es fast unmöglich ist, ohne die Worte „köstlich“, „lecker“, „verlockend“ oder „verführerisch“ auszukommen. Unsere Tast-, Geruchs-, Gefühls- und Geschmackswelt ist mit Worten schwer zu fassen. Aber die Aufzählung zeigt auch, wie nah Erotik und Essen beieinander liegen. Wir bedienen uns derselben Begriffe, um kulinarische und erotische Genüsse zu beschreiben. Staïkos und Abad haben genauer hingeschmeckt und -gespürt und jeder eine neue, originelle, erotisch-kulinarische Sprache erfunden.

Sind Staïkos‘ „Kulinarische Liebschaften“ in diesem Sinne eine charmante, aber sehr gelungene Fingerübung, so hat Lindsay sich im „Karneval der Bäcker“ an ein großes Panorama der Leidenschaften gewagt. Inspiriert von den Bilderbögen Brueghels entwirft der Australier ein italienisches Dorf, in dem der Bäcker Gianni Terremoto an einem Ostermorgen alle Einwohner mit seinen aphrodisierenden Osterbrötchen verhext. Ausgerechnet in der Kirche des Dorfes Bacheretto kommt es schließlich zu der großen Orgie, die dem Roman den Namen gibt.

Lindsay beschränkt sich keineswegs auf die Beschreibung köstlicher Speisen oder raffinierter Liebesrituale. Im Gegenteil, das gute Essen ist bei ihm eher Nebensache. Dafür schildert er alles, was vor, während und nach dem Essen in den Körpern der Menschen passiert: Verdauung und Ausdünstungen, die Peristaltik „und die sauer-scharfen Essenzen und die Gallenflüssigkeit“. Lindsays Dorfbewohner sind keine subtilen Wesen, die sich verfeinerten Genüssen hingeben. Er beschreibt sie als eher barocke Menschen mit all ihren Lastern und Schwächen: Der Bäcker Gianni Terremoto ist ein fetter Kerl, der sich am liebsten von Roggenmehl ernährt, „und manche Leute sagten, dies sei auch der Grund, weshalb er in der ganzen Stadt am lautesten furzen konnte“. Fast schon genießerisch schreibt Lindsay vom „Schimmelgeruch“ im Haus des Paters Emile Pestoso oder von Giannis schwabbelnden Pobacken. Genuss ist schließlich auch eine Frage der Einstellung.

Die Geschichte von Gianni, dem furzenden Bäcker, Pia Zanetti, der einbeinigen Tänzerin und Stefano Costa, dem einhändigen Maurer, wird zwar mit viel Liebe zum Detail erzählt, doch wirkt sie wegen der Vielzahl der skurrilen Figuren künstlich überladen. Zu sehr hängt Lindsay an der Beschreibung seines Bilderbogens, zu viel trägt sich im Kosmos von Bacheretto zu, und so erhält der Roman eine Schwere, die dem Thema unangemessen ist. Denn Lindsay wird am Ende sehr grundsätzlich. Ihm geht es um die Erfindung einer neuen Religion. Doch wenn daraus ein Glaubensbekenntnis werden soll, hört der Spaß an Essen und Erotik rasch auf. Denn nichts ist dem Genuss abträglicher als die Aufstellung von Geboten oder die Schilderung anstrengender Verrichtungen.

Ein gutes Tischgespräch, schrieb einst der französische Gastrosoph Anthelme Brillat-Savarin, solle geistreich, heiter und instruktiv sein. Politische Diskussionen, so seine Empfehlung, sollten möglichst kurz gehalten werden. Sie seien der Verdauung so abträglich wie Verstopfung. Abad und Staïkos haben diesen Grundsatz in ihren Büchern beherzigt. Es sind Plaudereien über das Leben und die Liebe, den Genuss und seinen Preis.

Über das Thema Essen und Erotik ist schon alles gesagt und geschrieben worden, sollte man meinen. Doch wie bei einem guten Essen, das man gerne immer wieder probiert und in seinen Nuancen noch mehr zu schätzen lernt, macht es Spaß, es immer wieder neu zu entdecken. Hector Abad und Andreas Staïkos sind neugierige und spielerische Entdecker. Sie gehen mit der Leichtigkeit ans Werk, die es für das schwere Thema Sinnlichkeit braucht. Ihre Bücher sind Liebeserklärungen: an die griechische Küche das von Staïkos, an das Leben das von Abad. Beide sind gute Führer in die Welt des Genusses, weil sie lehren, was es braucht, um genießen zu können: Liebe und Hingabe. „Und vor allem“, empfiehlt Hector Abad seiner Geliebten, „denke nicht, denn es gibt nichts, was den Körper so austrocknet wie das Denken.“

Hector Abad: „Kulinarisches Traktat für traurige Frauen“. Aus dem Spanischen von Sabine Giersberg. Wagenbach, Berlin 2001, 125 Seiten, 23,80 DMAndreas Staïkos: „Kulinarische Liebschaften“. Aus dem Griechischen von Michaela Prinzinger. Eichborn Verlag, Frankfurt a.M. 2001, 150 S., 29,80 DMAndrew Lindsay: „Karneval der Bäcker“. Aus dem Englischen von Christa Schuenke. Klett-Cotta, Stuttgart 2001, 365 Seiten, 39,50 DM