Die wahren Muslime

Die Ahmadiyya-Gemeinschaft in Tegel wirbt für die Friedensbotschaft des Propheten Mohammed. In der muslimischen Welt wird der Gruppe Ketzerei vorgeworfen, die Moschee in Pakistan ist zerstört

von CLAUDIA DANTSCHKE

„Die Deutschen werfen momentan alle Muslime in einen Topf und unterscheiden nicht zwischen den zahlreichen Gruppierungen, die es im Islam gibt“, weiß Abdul Basit Tariq zu berichten. Der 54-jährige deutsche Staatsbürger pakistanischer Herkunft beklagt, dass viele seine Religion mit Terror, Blutvergießen und heiligem Krieg gleichsetzen. Deshalb hat der Islamgelehrte, seit 1999 Vorsitzender der Berliner Ahmadiyya-Muslim-Jamaat, am vergangenen Wochenende zum offenen Dialog in seine Gemeinde eingeladen. Zwei Tage lang kamen Männer, Frauen und ganze Familien in das zur Moschee umfunktionierte Einfamilienhaus inmitten einer Reinickendorfer Siedlung mit Gartenzwergidylle.

„Sie sind völlig verwirrt über die widersprüchlichen Darstellungen des Islam“, erklärt der Imam unter dem Getöse startender und landender Flugzeuge vom nahe gelegenen Flughafen Tegel. Unermüdlich propagiert er die friedliche und aufgeklärte Islaminterpretation seiner Gemeinschaft, die in Berlin seit 1976 besteht und 150 Mitglieder unterschiedlicher nationaler Herkunft hat. Sie sind Teil der weltweiten Ahmadiyya-Gemeinschaft (Qadiyani-Gruppe), die Ende des 19. Jahrhunderts entstand, als sich im nordindischen Punjab der sunnitische Gelehrte Mirza Ghulam Ahmad (1835 bis 1908) zum Messias erklärte. Ziel der von ihm begründeten islamischen Reformbewegung ist die Propagierung des Korans in seiner ursprünglichen Form.

Mit Argumenten sollen die Menschen von der Wahrheit des Islam und der friedlichen Botschaft des Propheten Mohammed überzeugt werden. Gewalt wird als unislamisch abgelehnt. „Die Spaltung der islamischen Gemeinschaft in 73 Strömungen“, erläutert Imam Tariq, „zeigt, dass die Muslime den wahren Islam verloren haben.“ Der prophezeite Messias sei ein geistiger Führer, ein Imam, der durch Frieden, Demut und Aufklärung die Muslime wieder zusammenbringe. Der missionarische Ansatz der Ahmadiyya-Gemeinschaft hat dazu geführt, dass inzwischen 20 Millionen Menschen Ahmad als Propheten verehren sollen.

Auf Grund dieser Verehrung werden die Ahmadis von vielen Muslimen als „unislamisch“ abgelehnt, da für sie Mohammed der letzte Gesandte Gottes war, das „Siegel der Propheten“. Orthodoxe Muslime werfen der Reformbewegung sogar Häresie (Ketzerei, Gotteslästerung) vor, die mit dem Tod bestraft werden müsse. In Pakistan, wo die Gemeinschaft nach der Teilung Indiens ihr Weltzentrum gründete, werden die Ahmadis ihrer Glaubensfreiheit beraubt, verfolgt und auch ermordet. 1974 erließ das pakistanische Parlament ein Gesetz, das die Ahmadis offiziell zu „Nichtmuslimen“ erklärte. Viele flohen vor der systematischen Verfolgung.

„Die überwiegende Anzahl der fünfzigtausend Mitglieder meiner Gemeinde in Deutschland stammt aus Pakistan und erhielt hier Asyl“, sagt Imam Tariq, der 1982 als Geistlicher „normal“ hierher kam und seitdem schon in fast allen deutschen Großstädten tätig war. Das geistliche Oberhaupt der Weltgemeinschaft, der 4. Nachfolger (Khalif) des Messias Ahmad, musste ins Exil nach London fliehen, da ihm durch ein Dekret der pakistanischen Militärdiktatur von 1984 die Hinrichtung drohte. Auch die aktuelle Anti-Terror-Allianz zwischen Pakistan und den USA werde für seine Glaubensbrüder keine Besserung bringen, glaubt Imam Tariq: „Wir sind heute genauso unterdrückt. Erst vor einigen Tagen wurde unsere Moschee in Pakistan zerstört.“

In Deutschland fühlt sich Abdul Basit Tariq zwar durch die verfassungsmäßig garantierte Religionsfreiheit geschützt, aber „auch hier gibt es sehr viele, die Hass gegen uns verbreiten“. Vor allem die „Khatme Nubuwwat“, deren europäische Zentrale in London ist, versucht seit mehreren Jahren, die hier lebenden rund 35.000 pakistanischen Sunniten auf Anti-Ahmadiyya-Kurs zu trimmen. Mit Erfolg, so scheint es. So hat die Muslimische Pakistanische Gemeinde Berlin einen Religionsführer eingeladen, der die Zuhörer in seinem Vortrag gegen die Ahmadiyya aufgehetzt hat, erzählt Tariq. „Ich glaube, dass die pakistanischen Muslime Broschüren mit Diffamierungen gegen uns verteilen und in Berlin auch mit anderen islamischen Gemeinden zusammenarbeiten.“ Dramatisieren will der Imam das aber nicht, denn „wir laufen in Deutschland nicht Gefahr, so wie in Pakistan verfolgt zu werden“.

Viel wichtiger sei ihm im Moment, gemeinsam mit den anderen muslimischen Gruppierungen „unseren deutschen Mitbürgern zu erklären, dass Islam Frieden heißt“. Seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit scheint aber nicht nur von muslimischen Gruppen ausgeschlagen zu werden. Gesprächspartner der hessischen Landesregierung war jahrelang die Islamische Religionsgemeinschaft Hessen (IRH), die die anatolischen Aleviten und die Ahmadiyya zur Gruppe der Nichtmuslime erklärt hat. Imam Tariq, der zu Vorträgen in Gymnasien, Volkshochschulen und der Katholischen Akademie eingeladen wird, wartet bis heute auf eine Einladung, „wenn von Regierungsseite das Thema Islam besprochen wird“.

Und auch in Berlin läuft der Dialog, zu dem die Ausländerbeauftragte Barbara John muslimische Organisationen einlädt, an der Ahmadiyya-Gemeinde vorbei. „Sie hat unsere Gemeinde auf Einladung unserer Frauengruppe besucht, aber als offizieller Vertreter von Muslimen wurde ich nie eingeladen“, bedauert Imam Tariq. Aber unbeirrt fügt er hinzu: „Wir sind Gott gegenüber Muslime und brauchen keine Bestätigung von Menschen, dass wir Muslime sind.“