Wind, Wasser und Vogelgezwitscher

■ Volker Koepp sprach mit der taz über „Kurische Nehrung“, seinen neuen Film: „Da kann man ruhig rausgehen“

Am liebsten möchte man nach dem Film sofort hinfahren! „Kurische Nehrung“ zeigt diese Landschaft in Ostpreußen, dieses 90 Kilometer lange Haff in der Ostsee, das heute halb zu Litauen und halb zu Russland gehört, so romantisch, abgelegen und windzerzaust, dass man dem Regisseur für diesen Reisegeheimtipp danken möchte.

taz: Herr Koepp, ich muß Ihnen ein etwas seltsames Kompliment machen. Ich habe Ihren Film auf der Berlinale gesehen, und da muss man ja von morgens bis nachts ständig in den Kinos sitzen. Bei Ihrem bin ich nun nach einiger Zeit schön eingeschlafen. Als ich dann wieder aufwachte, hatte ich nicht das Gefühl, etwas versäumt zu haben und fühlte mich im Film gut aufgehoben. Ich glaube, die meisten anderen Regisseure wären über solch eine Aussage tödlich beleidigt.

Volker Koepp: Nein, bei meinen langen Filmen ist das durchaus angemessen. Da kann man ruhig rausgehen und einen Kaffee trinken und dann weiter gucken. Man soll sich in den Film reinfallen lassen können, und dann ist das Einschlummern eher ein Luxus als ein Nachteil.

Sie zeigen in Ihren letzten Filmen, („Herr Zwilling und Frau Zuckermann“) die vergessenen Gegenden im Osten und ihre Bewohner. Woher kommt die Vorliebe für diese heute maroden Gegenden Europas?

Meine Affinität zur ostpreußischen Landschaft hat eine längere Geschichte. Das begann 1963 mit einem Gedicht von Johannes Bobrowski, in dem wunderbare Landschaften beschrieben wurden, und ich dachte, da musst du mal hin. Damals durfte man auch als DDR-Bürger nicht in diese Gegend reisen, aber ich bekam für ein Filmprojekt aus Moskau die Genehmigung, in diese Sperrgebiete zu reisen. Unter anderem durften wir uns für eine halbe Stunde im lettischen Teil der Kurischen Nehrung aufhalten. Später habe ich dann noch mehr Filme über diese Gegend und ihre Menschen gemacht, aber die Kurische Nehrung hatte ich mir aufgehoben. Aber schon Bobrowski hat immer beschrieben, dass wir Deutsche selber schuld daran sind, dass wir diese Gebiete verloren haben, und meine Haltung dazu war auch nie anders. Es gab ja zur Berlinale in der Berliner taz einen Verriss mit dem Tenor, „ein unbedingtes Muss für alle Heimatvertriebenen“. Genauso, wie das Thema in der DDR verdrängt wurde, gibt es im Westen scheinbar einige, die immer wenn sie Ostpreußen hören, sofort Heimatvertriebene dazudenken. Ich finde es merkwürdig, dass denen gar nicht aufgefallen ist, dass die Protagonistin des Film, Renate, als Deutsche in der Kurischen Nehrung geblieben ist, einen Russen geheiratet hat, was die Russen und die Litauer gar nicht gerne sehen, und mit ihrem Mann Russisch, ihren Töchtern Litauisch und im Film Deutsch spricht. Und damit ist ihr etwas gelungen, was sonst ja eigentlich immer schief geht.

In Ihren Filme sprechen ja die Leute meist direkt in die Kamera und erzählen dabei so schön, detailreich und unverkrampft, wie sonst selten in Dokumentarfilmen. Wie gelingt Ihnen dass?

Ich versuche beim Drehen immer eine Mischung zu finden zwischen Dingen, die ich schon vorher recherchiert habe, und meinen Entdeckungen. Ich will da vorher gar nicht zuviel wissen. Auch vor dem Drehen rede ich nicht zuviel mit den Leuten, denn die erzählen dann vor der Kamera das Gleiche nie wieder so gut. Das ist so, wie wenn man sich im Zug mit Leuten unterhält, die man noch nie vorher gesehen hat. Das ist ja auch am Spannendsten.

Aber „Kurische Nehrung“ ist auch ein sehr ruhiger Film, in dem man oft lange nur den Wind, das Wasser und Vogelgezwitscher hört. Warum ist der Film oft geradezu einsilbig?

Ich wollte nach „Zwilling & Zuckermann“, in dem ja viel geredet wird, mehr noch als sonst einen Film über eine Landschaft drehen, mich da einfach mit der Kamera in den Wind stellen und drehen. Aber dann habe ich doch die Leute getroffen. Nur Landschaft könnte man in einem Diavortrag machen.

Wenn es in dem Film eine Dramaturgie gibt, ist sie ja eher verborgen. Man spürt sie eher, als man sie nacherzählen könnte

Ja, der sogenannte rote Faden existiert da überhaupt nicht, obwohl ich schon die Lebensgeschichten von Menschen erzählen will. Aber meine Art, Dokumentarfilme zu machen, ist eher assoziativ, erinnert eher an das Schreiben von Gedichten

Das ist ja interessant, weil Sie sich beim Beginn des Interviews jauch auf ein Gedicht über die Kurische Nehrung berufen haben. Könnte man sagen, dass Sie eher einen poetischen als einen narrativen Zugang zu Ihrer Kunst haben?

Wahrscheinlich, ja! Das sind einfach Bilder, die man montiert. Ich schreibe mir auch nie ab, was die Leute in den einzelen Einstellungen sagen. Und ich setzte mich auch nicht zuhause ohne Bild hin, und versuche das Ganze in eine sinnvolle Abfolge zu bringen. Am Schneidetisch wirken dann die Bilder, und danach entscheide ich. Es gibt ja diesen schönen Begriff, dass man etwas auf den Punkt bringen muss. Aber ich glaube, wenn man etwas herauskriegen will, dann tut man das nie, indem man direkt darauf zusteuert. Sowas ergibt sich dann eher auf Umwegen, und muss schließlich im ganzen Film stecken.

Fragen: Wilfried Hippen

Täglich um 19 Uhr im Cinema