Chance für die Reformer im Iran

Das Land wird vom Westen umworben. Eine offenere Außenpolitik hätte Konsequenzen im Innern. Seit Kriegsbeginn mobilisieren die Islamisten wieder

„Tod den USA“ oder Solidarität mit dem als „Satan“ bezeichneten Staat

von BAHMAN NIROUMAND

Nächste Woche reist Joschka Fischer in den Iran. Unter den westlichen Diplomaten, die zur Zeit im Auftrag der Allianz gegen Terrorismus die Welt bereisen, wird der deutsche Außenminister wohl am ehesten in Teheran Gehör finden. Er wird versuchen, Iran zu größeren Engagement und Kooperation in Afghanistan zu bewegen. Die Vorgänge im Iran seit dem 11. September lassen die Vermutung zu, dass Fischers Visite zur Stärkung der Position der Reformer gegenüber den Islamisten beitragen wird.

Kurz nach den Anschlägen in Washington und New York bekundete der iranische Staatspräsident Chatami seine Anteilnahme mit den Hinterbliebenen der Opfer. Er verurteilte das Verbrechen und erklärte, Iran werde sich dem weltweiten Kampf gegen den Terror anschließen. Ähnlich äußerten sich iranische Parlamentarier. In der Hauptstadt Teheran versammelten sich Tausende Menschen mit Kerzen und Blumen in der Hand zum Gedenken an die Opfer. Es war erstaunlich, dass die Ordnungskräfte, die bei jeder spontanen Versammlung sofort einschreiten, sich dieses Mal zurückhielten. Offenbar hatte der Schock über das Verbrechen die strengen Regelungen außer Kraft gesetzt. Noch mehr: Es wurde geduldet, dass statt der bisher bei keiner Versammlung fehlenden Parole: „Tod den USA“, mit eben diesem als „Satan“ bezeichneten Staat Solidarität geübt wurde.

Im Gegensatz zu den Reformern und der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung brauchten die Islamisten etwas mehr Zeit, um sich eine Stellungnahme abzuringen. Hatten sie doch seit dem Bestehen der Islamischen Republik alles Westliche als Inbegriff der Sünde und des Verderbens verdammt und die Feindschaft zu den USA gepflegt, um die eigene Macht und Ideologie legitim erscheinen zu lassen. Sie hatten im eigenen Land, auch im Ausland, hunderte von Terroranschlägen in Auftrag gegeben. Wie sollten sie nun mit dem erklärten Feind Solidarität üben und dem Terror den Kampf ansagen? Sie taten es doch. Ob aus Staatsräson, Rücksichtnahme auf die Stimmung im eigenen Land oder aus der Furcht, die USA könnten ihre Drohung wahr machen und militärisch auch gegen Staaten vorgehen, die Terroristen beherbergen und unterstützen, entschlossen sie sich, wenn auch zähneknirschend zu einer moderaten Stellungnahme.

Revolutionsführer Chamenei verurteilte nicht nur die Anschläge, sondern zum Erstaunen des eigenen Volks auch grundsätzlich den Terror. Folgerichtig blieben am ersten Freitag nach dem 11. September beim Freitagsgebet die obligatorischen Parolen gegen die USA aus. Wie ein Teilnehmer berichtete, wurde den Besuchern an den Eingängen zum Universitätsgelände zugeflüstert, heute seien antiamerikanische Parolen nicht erwünscht!

In den ersten zwei Wochen nach den Anschlägen schien sich die Position der Reformer durchgesetzt zu haben. Staatspräsident Chatami warb wieder verstärkt für eine zivile Gesellschaft und noch mehr für den Dialog der Kulturen. Jeder Akt des Terrors sei ein Verbrechen, ein größeres Verbrechen sei aber, Terror im Namen der Religion auszuüben. Im Ausland wurde der moderate Ton aus der Islamischen Republik mit großer Anerkennung registriert. Der britische Premierminister Tony Blair telefonierte auf seinem Flug nach Washington mit Chatami und erklärte anschließend den in der Maschine anwesenden Journalisten, das Gespräch sei überraschend positiv gewesen. Ermuntert durch das Gespräch schickte er drei Tage später seinen Außenminister zu Verhandlungen nach Teheran. Auch eine EU-Delegation besuchte die iranische Hauptstadt. Eine neue Ära in der Beziehung zwischen Iran und dem Westen bahnte sich an.

Das Bemühen des Westens, Iran in die internationale Allianz gegen den Terror einzubinden, wurde gleichzeitig mit den Vorbereitungen zum militärischen Angriff auf Afghanistan verstärkt. Denn der beabsichtigte Sturz der Taliban und die sich daraus ergebende Notwendigkeit, die Karten in Afghanistan neu zu mischen, schien ohne eine Beteiligung des Nachbarstaats Iran kaum denkbar. Für die Reformer im Iran bot die unerwartet eingetroffene Situation die Chance, mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Die Beziehung zu den Staaten der EU zu intensivieren, eine Annäherung an die USA zu erreichen, um zumindest dem seit Jahren bestehenden Wirtschaftsboykott ein Ende zu setzen, in Mittelasien, am persischen Golf und im Nahen Osten eine Schlüsselrolle zu spielen und schließlich über die Zukunft Afghanistans entscheidend mitzubestimmen.

Diese Ziele waren selbstverständlich nicht umsonst zu erreichen. Zwar hatte die Regierung Chatami die Frage, ob sie bereit sei, den USA den iranischen Luftraum für militärische Aktionen gegen Terroristen oder für eine Intervention gegen die Taliban zur Verfügung zu stellen, von vornherein ohne Einschränkung abgelehnt. Aber faktisch müsste Iran gemeinsam mit den USA am gleichen Strang ziehen. Denn auch Iran betreibt schon seit Jahren den Sturz der Taliban, versorgt die Opposition mit Waffen und gewährt der Nordallianz logistische und politische Unterstützung. Auch die Versorgung der Flüchtlinge, von denen bereits fast drei Millionen im Iran Zuflucht gefunden haben, bedürfte einer Koordinierung mit den USA. Die Reformer schienen, ausgehend von der Gewissheit, ihre Politik werde von der überwiegenden Mehrheit der eigenen Bevölkerung getragen, diesen Preis mit einkalkuliert zu haben.

Doch spätestens mit dem Beginn der Bombardierung Afghanistans machten die Islamisten einen Strich durch diese Rechnung. Revolutionsführer Chamenei erklärte vor einer Versammlung der Freitagsprediger, das Ganze sei ein abgekartetes Spiel. Den USA gehe es nicht um die Bekämpfung des Terrors, sondern um die Erringung neuer Einflusssphären, um die Eroberung Afghanistans und um neue militärische Stützpunkte in der gesamten Region. Iran werde sich niemals einer Koalition unter der der Führung der USA anschließen. Der Kampf gegen Terror müsse von der UNO in enger Zusammenarbeit mit der Konferenz islamischer Staaten geleitet werden. Den Worten des Revolutionsführers folgten Taten. Am Freitag vergangener Woche skandierten seine Jünger nach dem gemeinsamen Gebet wie eh und je: „Tod den USA“ und setzten damit dem Burgfrieden zwischen den rechten Islamisten und Reformern ein Ende.

Die Frage ist, wieweit es den Islamisten gelingen wird, die Strategie der Reformer zu torpedieren. Immerhin hat es kurz nach Beginn der amerikanischen Angriffe auf Afghanistan einen geheimen Notenaustausch zwischen den USA und Iran gegeben. Die Islamische Republik hat dem Ersuchen der USA, Soldaten und Flugzeugen, die in Afghanistan in Not geraten könnten, Hilfe zu leisten, zugestimmt. Selbst Geheimdienstinformationen könnten den USA zur Verfügung gestellt werden, erklärte ein Mitglied der Regierung. Im Gegenzug erteilten die USA Iran die Zusicherung, die territoriale Integrität des Landes sowie dessen Luftraum zu respektieren.

Iran hat durchaus die Möglichkeit, ohne sich wie Pakistan der Politik der USA zu unterwerfen, bei der neuen Mischung der Karten in Mittelasien und am Persischen Golf entscheidend mitzuwirken, ja sogar zu verhindern, dass demnächst in Afghanistan seitens der USA eine Marionettenregierung eingesetzt wird. Ob die Islamisten, die ohne Irrationalismen und Feindbilder nicht auskommen, diese außenpolitischen Aktivitäten, die selbstverständlich innenpolitische Konsequenzen haben werden, dulden, wird sich in den nächsten Tagen und Wochen zeigen.