Zeugin des Bösen

Zum 100. Geburtstag der Autorin Margarete Buber-Neumann dokumentiert ein schöner, kleiner Band ihr Leben und Leiden zwischen den politischen Extremen des 20. Jahrhunderts

von RUDOLF WALTHER

Der Philosoph Tzvetan Todorov nannte sie eine „vorbildliche Zeugin des Bösen“: Margarete Buber-Neumann (21. 10. 1901 bis 6. 11. 1989). Anlässlich ihres 100. Geburtstags hat nun Michaela Wunderle Texte von und über Margarete Buber-Neumann in einem kleinen Band zusammengestellt und skizziert so ein knappes, insgesamt faires Bild der Schriftstellerin.

Als Jugendliche war sie bei der antibürgerlichen „Wandervogel“-Bewegung, und als junge Frau engagierte sie sich in Heidelberg in der Kommunistischen Jugendbewegung. Noch während ihrer Ausbildung zur Kindergärtnerin lernte sie ihren späteren Mann Rafael Buber kennen, den Sohn des Religionsphilosophen Martin Buber. 1921 wurde ihre erste, 1924 ihre zweite Tochter geboren. Die Ehe scheiterte schnell, das Sorgerecht für die beiden Kinder erhielten die Schwiegereltern, und das hat ihnen das Leben gerettet, denn Martin Buber flüchtete zusammen mit ihnen rechtzeitig nach Israel.

Nach der Scheidung von Rafael Buber lernte Margarete den Philologen und kommunistischen Berufsrevolutionär Heinz Neumann kennen, der im Politbüro der KPD saß und lange als Vertrauter Thälmanns galt. Margarete Buber heiratete Neumann und wurde Sekretärin bei der „Internationalen Pressekorrespondenz“, dem wichtigsten Organ der „Kommunistischen Internationale“. 1932 besuchte sie erstmals die Sowjetunion, war jedoch so mit „geistigen Stoßdämpfern und dialektischen Wattepolstern“ (Arthur Koestler) ausgestattet, dass sie gar nichts wahrnahm von den wirklichen Zuständen unter Stalins Diktatur. Die Jahre 1933–35 verbrachte das Ehepaar zunächst in Spanien, von wo sich Neumann nach Zürich absetzte, weil er in der KPD als „Linksabweichler“ und Erfinder einer verhängnisvollen Parole – „Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft“ – galt. Erst Ende 1935 fuhren Heinz Neumann und Margarete Buber-Neumann nach Moskau und damit in eine tödliche Falle.

Stalin war gerade dabei, mit den „Trotzkisten“ in Schauprozessen abzurechnen. Am 27. 4. 1937 wurde Heinz Neumann verhaftet und nach einem Geheimprozess noch im gleichen Jahr hingerichtet. Margarete Buber-Neumann lebte zunächst – wie sie später schrieb „geächtet und isoliert“ – weiter in Moskau und wurde 1938 als „Volksfeindin“ zu fünf Jahren Arbeitslager verurteilt. Die Deportation und die erniedrigenden Lebensumstände im sibirischen Karaganda hat sie später eindringlich beschrieben. Überraschend endete ihr Lageraufenthalt schon 1940. Im Zeichen des Hitler-Stalin-Paktes gehörte sie zu den rund 1.000 Häftlingen, die Stalin direkt an Hitlers Schergen auslieferte. Die Zeit von 1940 bis zum Kriegsende verbrachte Margarete Buber-Neumann im einzigen nationalsozialistischen Konzentrationslager für Frauen, in Ravensbrück.

Nach der Befreiung des Lagers durch die Rote Armee fuhr Margarete Buber-Neumann nach Schweden, wo 1948 das Buch „Als Gefangene bei Stalin und Hitler. Eine Welt im Dunkel“ erschien, das ein Jahr später auch ins Deutsche und andere europäische Sprachen übersetzt wurde. Europaweit berühmt wurde sie mit ihrem Auftritt im Pariser Prozess gegen Wiktor Krawtschenko, der als sowjetischer Überläufer im amerikanischen Exil ein Buch über Ausbeutung und Terror in der stalinistischen Sowjetunion verfasst hatte. Die Authentizität seines Berichts wurde von kommunistischen Organen bestritten, und die Zeugin Margarete Buber-Neumann verhalf der unterdrückten Wahrheit zum Durchbruch. Mit weiteren Erinnerungsbüchern über ihre Erfahrungen in den Lagern sowie als Rednerin schlug sie sich durchs Leben, da ihr Versuch, Lehrerin zu werden, scheiterte.

Mit ihrem unerbittlichen Kampf gegen „die gläubige Blindheit“ und „die Allgegenwart der Lüge“ geriet sie freilich in der Atmosphäre des Kalten Kriegs zwischen alle Fronten. Ihre Erfahrungen aus der „gedoppelten Hölle“ (Gerhard Zwerenz) interessierten die Rechte nur so weit, wie sich daraus Stimmung machen ließ gegen die inländische Linke oder gegen die nachstalinistische Sowjetunion. Und der Linken galten ihre Bücher als unerheblich, weil sie darin unentwegt ihre biografischen Erfahrungen beschrieb, aber nicht zu einer fundierten Analyse von Stalinismus und Nationalsozialismus gelangte. Das Kalkül von rechts und die linke Ignoranz isolierten Margarete Buber-Neumann zunehmend. Sie selbst beförderte diesen Prozess noch, als sie in den 70er-Jahren die sozialliberale Ostpolitik ablehnte, für die CSU von Franz Josef Strauß Wahlkampf machte und Ernst Cincera als Mitstreiter anwarb. Der aus der KPD ausgeschlossene Widerstandskämpfer Erich Wollenberg protestierte 1973 gegen „die jetzige politische 180-Grad-Schwenkung“ seiner Freundin aus Moskauer und Berliner Zeiten.

Das Buch porträtiert eine Frau, die man durchaus eine „Zeugin des Jahrhunderts“ nennen kann. Manchmal geraten die Proportionen aus dem Gleichgewicht – etwa wenn es um die Rolle Herbert Wehners geht, der als ebenso allmächtiger wie teuflischer Strippenzieher im Hintergrund erscheint. Und der nichtkommunistischen europäischen Linken wie der Neuen Linken muss man zugestehen, dass das sowjetische Modell für sie nach dem russischen Einmarsch in Ungarn 1956 und Prag 1968 keinerlei Attraktion mehr besaß.

„Margarete Buber-Neumann“. Mit einem Essay von Michaela Wunderle. Verlag Neue Kritik, Frankfurt am Main 2001, 144 Seiten, 25 DM (14 €)