Golden Girls im Golden Bowl

Auf den Cutter kommt es an: Die britische Autorin Fay Weldon erzählt in ihrem Roman „Miss Felicitys kleine Geheimnisse“ von drei Frauengenerationen, die sich nicht unglücklich machen lassen wollen

Fay Weldon: Die Frauen haben einen zu hohen Preis für ihre Würde bezahlt

von ULRIKE WINKELMANN

Ein Roman über Frauen, Familie und das Alter: Miss Felicity, eine aus England in die USA ausgewanderte, durchaus nicht vergreiste Dame in den Achtzigern, beschließt, ihr schönes, großes Haus zu verkaufen und in das ebenfalls schöne, gepflegte Altenheim Golden Bowl zu ziehen. Das Golden Bowl ist teuer, aber man bekommt etwas fürs Geld: Hier werden die alten Herrschaften noch besonders viel älter, bevor sie einen gepflegten Alterstod sterben. Der Langlebigkeitsindex beträgt 96 Jahre. Doch damit die gut motivierten, singenden und gesund ernährten Senioren nicht über die Stränge springen, haben Doktor Grepalli und Schwester Dawn so ihre Mittel und Möglichkeiten. Die bekommt Miss Felicity zu spüren, als sie sich in einen gewissen William Johnson verliebt, zwölf Jahre jünger, wesentlich ärmer als sie und ein Spieler.

Miss Felicitys Enkelin Sophia, 32, ist erfolgreiche Film-Cutterin in London, die sich, angeregt von Miss Felicitys Umzugsbeschluss und einer Bemerkung über ein Kind, das sie als Teenager bekommen hat, auf die Spuren ihrer Familie begibt. Sophia lässt eine Detektei einen neuen Familienzweig aufspüren, und im Zuge dieser Ermittlungen erzählt uns Sophia die Geschichte dreier Generationen von Frauen, die, teils vom Schicksal, teils von psychischer Krankheit gebeutelt, sich nicht unglücklich machen lassen wollten. Auch Sophia, Marke urbaner Single, wächst ein Mann ans Herz: der Regisseur, mit dem sie gerade einen Film schneidet und der sich recht nonchalant in ihrer Wohnung in Soho einnistet.

Ein perfekt konstruierter Roman: In gut abgewogenen Happen serviert Fay Weldon in „Miss Felicitys kleine Geheimnisse“ uns erstens die Geschichte einer alten Frau, die sich Hals über Kopf verliebt und auf Sexualität im Alter besteht; zweitens die Geschichte einer jungen Frau, die sich entgegen aller Ernüchterung darüber, was zwischen den Geschlechtern so Hergebrachtes und Deprimierendes passiert, verliebt; und drittens bekommen wir erzählt, was das alles mit Familie zu tun hat. Warum Familie einerseits nichts als Pflicht und Schuld und erzwungene Besuche bedeutet und andererseits der einzige Halt ist, den wir wirklich haben, warum es nicht reicht, nur eine Oma in Übersee und einen Haufen guter Kollegen zu haben, und warum ein Altenheim, das auf Entkoppelung der alten Menschen von ihrer Verwandtschaft setzt, eben doch nichts taugt.

Ein routiniert erzählter Roman: Regiert wird er von den Gegensatzpaaren Jung (dicke Locken, Kinder sind eine Option) und Alt (Knochen, Haut und Haare werden dünn), England (betulich, kleinteilig) und Amerika (große Kühlschränke, offene Herzen), Karrierestress und Familienpflicht, Film (ordentlicher Plot, sauberes Ende) und Wirklichkeit (chaotische Handlung, unklarer Verlauf). In dem zwischen solchen Pflöcken gespannten Netz von Meinungen, Haltungen und Ansichten dürfen wir erleben, wie Sophia ein wenig von ihrer ängstlichen Abgeklärtheit – oder ist es als Zynismus getarntes Sicherheitsbedürfnis? – verliert und wie Miss Felicity sich gegen den Bevormundungsterror des Golden Bowl durchsetzt. All dies versetzt mit den großen und kleinen weiblichen Weisheiten des Alltags – dass beim Fliegen die Knöchel anschwellen, dass es sich nicht immer lohnt, sich für ein Date die Beine zu rasieren –, ergibt ein, wie heißt es immer so schön im Verlagsprospekt, ungeteiltes Lesevergnügen.

War da noch was? Durchaus. Zum Beispiel könnte man es anstrengend finden, dass die Wohlkonstruiertheit und Routiniertheit des Erzählten so richtig aus jedem Kapitel herausschauen. Sophia berichtet aus ihrem Beruf: dass übrigens alles, was einen Film ausmacht, in den Händen einer guten Cutterin oder eines guten Cutters liegt und mitnichten am chaotischen Rohmaterial, das der Regisseur liefert. Der Schnitt also treibt die Handlung voran, er erzeugt Atmosphären, sorgt für Nähe und Distanz – nicht das Zeug selbst. Nach dieser Erkenntnis scheint auch der Roman angelegt zu sein: kunstvoll geschnitten, das Rohmaterial so aneinander gefügt, dass die Gegensätze sich gegenseitig betonen, die Figuren zur Geltung kommen, ohne sich gegenseitig zu überdecken, dass jeder Effekt auch wirkt. Anders als Sophia, die Cutterin, die beklagt, dass sie niemals den ihr gebührenden Ruhm einfährt, sondern immer nur die Stars und der Regisseur, dass sie und ihre Arbeit also unsichtbar bleiben, drängelt sich die Autorin auf diese Weise jedoch in den Vordergrund.

Und wo sie doch schon einmal so präsent ist: Die Frauen hätten einen zu hohen Preis für ihre Würde bezahlt, meinte Fay Weldon zum Thema Feminismus neulich auf ihrer Lesereise durch Deutschland: „Denn Frauen heute müssen arbeiten. Viele sind dann zu erschöpft, um Kinder und Zeit für die Liebe zu haben.“ Weldons neuer Roman, der sich nicht von der sortierenden und schneidenden Hand seiner Autorin lösen durfte, schrumpft plötzlich zu einem Beleg in Prosa für deren These: Miss Felicity, Angehörige einer Generation, in der Frauen aus Gründen der Dekoration und der geordneten Fortpflanzung geheiratet wurden, hat es leichter, zu ihrer Liebe zu finden, als Sophia, die inmitten ihres karrierebetonten modernen Daseins nicht gelernt hat, sich eigene Gefühle und Beziehungen zu gönnen. Puh. Das kann Fay Weldon, eine der Grandes Dames des literarischen Feminismus, unmöglich gewollt haben. Das haben Miss Felicity und Sophia nicht verdient. Aber so ist es letztendlich.

Fay Weldon: „Miss Felicitys kleine Geheimnisse“. Aus dem Englischen von Sigrid Ruschmeier. Hoffmann und Campe, Hamburg 2001, 414 S., 44,91 Mark