Ein Prozess wie ein Agentenroman

Im Verfahren um den Bombenanschlag auf das Jüdische Gemeindezentrum in Buenos Aires 1994 ist nach vier Wochen klar: Am Ende werden viele Zweifel bleiben. Auf der Suche nach den Drahtziehern blühen die unglaublichsten Theorien

von TONI KEPPELER

Dieser Prozess ist Stoff für einen Agentenroman. Schon jetzt gibt es genügend Verwirrung im Verfahren um den Bombenanschlag, der am 18. Juli 1994 das Jüdische Kultur- und Gemeindezentrum in Buenos Aires zerstört und 85 Menschen getötet hatte. Und nach der Ende vergangener Woche abgeschlossenen Vernehmung der Angeklagten scheint klar zu sein: Die Aufklärung ist unwahrscheinlich.

Angeklagt sind 20 Argentinier, 15 davon Polizisten aus Buenos Aires. Keiner von ihnen wird als materieller Täter verdächtigt. Laut Anklage handelt es sich bei ihnen um Helfer, die den eigentlichen Attentätern zur Hand gegangen sein sollen. In dieser Woche beginnt die Vernehmung von 1.470 Zeugen.

Am Morgen des 18. Juli 1994 explodierte vor dem Jüdischen Kultur- und Gemeindezentrum in Buenos Aires eine gewaltige Bombe, die in einem weißen Lieferwagen der Marke „Trafic“ versteckt war. Kurz nach der Explosion will der israelische Sicherheitschef des Zentrums ein Auto mit diplomatischem Kennzeichen der Botschaft des Iran wegfahren sehen haben.

Daraus schließt Untersuchungsrichter Juan José Galeano, dass die Auftraggeber des Attentats im Nahen oder Mittleren Osten zu suchen sind. Seine Theorie: Imad Mughniyeh, Sicherheitschef der libanesischen Hisbollah und angeblich Mitglied von Bin Ladens Al-Quaida-Netzwerk, soll der intellektuelle Autor sein. Koordinator vor Ort war danach der damalige Kulturattaché der iranischen Botschaft, Meshen Rabbani. Nur: Wer hat den Anschlag in Auftrag gegeben? Hisbollah? Die iranische Regierung? Irgend jemand anders? Galeano lässt dies offen.

Darum geht es auch gar nicht in diesem Prozess. Es geht um die argentinischen Handlanger der Attentäter. Und dass der Autohändler Carlos Telleldín ein solcher war, ist unstrittig. Er hat den „Trafic“ in Paraguay besorgt. Er soll ihn auch mit der Bombe ausgestattet und zehn Tage vor dem Attentat an vier Polizisten weitergereicht haben.

Die vier Polizisten aber behaupten, sie hätten den „Trafic“ nie gesehen. Es sei vielmehr so, dass Untersuchungsrichter Galeano den Autohändler mit 400.000 Dollar bestochen habe, damit dieser die Polizisten anschwärzt. Eigentlich steckten der damalige Präsident Carlos Menem, sein Innenminister und sein Geheimdienstchef hinter dem Attentat. Und natürlich der Untersuchungsrichter.

Menem hat nach dieser Theorie seinen Wahlkampf aus dunklen Quellen des Nahen Ostens finanziert und stand deshalb bei islamistischen Gruppen in der Pflicht. Weil er sich aber im Golfkrieg auf die Seite der USA gestellt und Kriegsschiffe geschickt hatte, waren seine Finanziers sauer. Die Vertuschung der Hintergründe des Attentats sei eine Gegenleistung, die Menem habe bringen müssen. Die Theorie klingt abenteuerlich. Doch ein paar Details machen stutzig: Galeano hat bei den Ermittlungen ziemlich geschlampt. Videoaufzeichnungen von Verhören mit dem Autohändler wurden zerstört. Anderes Beweismaterial ging „verloren“. Der Inhalt von Bekenneranrufen, die Jahre später bei der argentinischen Botschaft in Saudi-Arabien eingingen, wurde nie an die Justizbehörden weitergeleitet. Und inzwischen zweifelt im Gerichtssaal niemand mehr daran, dass Telleldín tatsächlich 400.000 Dollar bekommen hat. Geldbote war vermutlich ein Agent des Geheimdienstes. Doch wer die Zahlung in Auftrag gegeben hat, wird man kaum erfahren. Der heutige Präsident Fernando de la Rúa hat den als Zeugen geladenen Agenten keine Aussagegenehmigung erteilt.