WTO will Bildung zur Ware machen

Wenn Seminare Handelsware werden, hat das empfindliche Auswirkungen. Private Anbieter könnten in Deutschland die Einführung von Uni-Gebühren verlangen. Mehr Druck auf „Dritte Welt“, den Bildungssektor zu privatisieren und zu öffnen

von KARL-HEINZ HEINEMANN

Werner Müller reist in die Wüste. Wenn der Bundeswirtschaftsminister ab Freitag in Katar mit seiner internationalen Kollegenschaft spricht, geht es vordergründig um Handelspolitik und Globalisierung. Die Ministerrunde wird mit der Welthandelsorganisation (WTO) allerdings auch über Bildung verhandeln. Denn „educational services“, also Bildung, soll künftig zu den Dienstleistungen gehören, die frei handelbar sind. Das hieße, dass Handelsbeschränkungen für ausländische Anbieter aufgehoben werden müssen. Aber ist Bildung überhaupt eine Ware?

Einige angelsächsische Länder betreiben schon seit einigen Jahren einen schwungvollen Bildungshandel. Gut die Hälfte aller amerikanischen Hochschulen vertreibt Studienangebote im Internet. Australische Hochschulen finanzieren sich bereits zu einem großen Teil aus den Studiengebühren, die sie von Studierenden aus dem südpazifischen Raum kassieren.

Auch Deutschland hat gewisse Interessen, Bildung als Ware zu definieren. Der Deutsche Akademische Austauschdienst hat gerade einen Marketing-Service für deutsche Hochschulen gegründet, mit dessen Hilfe sie ihre Produkte im Ausland verkaufen können – Studenten werben, Studiengänge exportieren oder kostenpflichtige Unifilialen gründen. Die Deutschen wollen auf dem globalen Bildungsmarkt mitspielen.

Aber die Welthandelsorganisation soll ja nicht nur für die Industrieländer da sein. Könnten Entwicklungsländer also davon profitieren, wenn international anerkannte Studiengänge aus Stanford weltweit abrufbar und studierbar sind?

Erste Beispiele gibt es bereits. Die „African Virtual University“ etwa trägt den Namen Afrikas. Nur, die Geschichte und die Sprachen der Zielgruppe kommt in ihr nicht vor. Das Lehrprogramm wird im Internet auf Englisch und Französisch feilgeboten. Entwickelt wird es in den USA, Großbritannien, Belgien und Frankreich. „Früher hätte man das Kulturimperialismus genannt“, schimpft Gerd Köhler von der GEW. Schließlich kann sich eine eigene kulturelle Elite in afrikanischen Staaten kaum herausbilden, wenn es keine nationalen Unis gibt.

Am jüngsten Bildungsunternehmen, das Kurse verkaufen will, diesmal in Lateinamerika und in Südostasien, ist die Universität Freiburg beteiligt. „Universitas 21“ heißt das auf Profit ausgerichtete Projekt. Die Uni im Breisgau und 18 vowiegend australische Hochschulen geben für das Projekt lediglich ihren Namen – gegen Cash, versteht sich. Die Kurse entwickelt Thomson, ein weltweit agierender Medienkonzern.

Die Bundesregierung sieht Deutschland erst einmal nur in der Rolle des Exporteurs. Doch vielleicht könnte sich ein Welthandelsabkommen, das Bildungsdienstleistungen dereguliert, auch hierzulande empfindlich auswirken. Was geschieht, wenn sich die diversen Privatgründungen amerikanischer Bildungsfirmen in Deutschland auf Handelsfreiheit berufen – und gegen die Gebührenfreiheit des Studiums als unzulässige Wettbewerbsverzerrung klagen?

Das ist eine noch ungeklärte Frage – und für Gerd Köhler das Problem. Der GEW-Vorstand für Hochschule und Wissenschaft klagt, dass die Bundesregierung sich überhaupt nicht der Brisanz des Themas bewusst sei. Über die Position, die Wirtschaftsminister Müller in Katar vertreten will, habe er nichts in Erfahrung bringen können.

Nach der Auffassung des WTO-Sekretariats fallen keine Dienstleistungen unter das Abkommen, die ausschließlich der Staat anbietet. Diese Definition schließe das deutsche Schulsystem nicht ein – so meint jedenfalls der Staatssekretär im Bildungsministerium, Wolf-Michael Catenhusen (SPD). Doch halt: Im Westen der Republik besuchen schon 10 Prozent der Schüler eine private Einrichtung – ein gemischter Markt also wie der Weiterbildungs- und der Hochschulsektor, und daher, nach WTO-Regeln, der Liberalisierung zu öffnen.

Auch die Entwicklungsländer sind betroffen. Im Sommer trafen sich in Jomtien in Thailand die Delegierten der Bildungsinternationale, des weltweiten Zusammenschlusses von Erziehungsgewerkschaften. Die Vertreter aus Botswana und Nepal, aus Ecuador und Kenia berichteten, wie unter dem Druck der Weltbank ihre Schulen privatisiert werden. Zum Beispiel in Ecuador, wo die Weltbank Millionen Dollar ausgibt für ein Programm, die Schulen gemeindenah zu verwalten – selbstständige Schulen in Mittelamerika. Wenn die Subvention durch die Weltbank wegfällt, werden die Gemeinden ihre Schulen selbst unterhalten und ihre Lehrer bezahlen müssen – was für sie praktisch unbezahlbar ist. Schon heute müssen die Eltern 30 Dollar Anmeldegebühr für ihr Kind aufbringen, deshalb gehen 45 Prozent nicht zur Schule.

Der Politik des Weltwährungsfonds und der Weltbank ist, bei allen Unterschieden, eines gemeinsam: Herunterfahren der Staatsausgaben, damit die Entwicklungsländern ihre Schulden bezahlen können. Das bedeutet häufig Privatisierung staatlicher Dienstleistungen. Gesundheitsversorgung und Bildung sind besonders betroffen. Das hat diverse Folgen: Die Analphabetenrate ist in den letzten zehn Jahren weltweit von 20 auf 25 Prozent gestiegen. Und: Nach dem noch nicht beschlossenen GATS-Abkommen wäre der gemischte Sektor Anlass, ihn für den Freihandel zu öffnen.

Die Internationale der „freien Gewerkschaften“ ruft am 9. November zu einem „Global Unions Day of Action“ auf. Optimistisches Motto: „Making Globalisation Work for People“