Die schwarze Hand

Ich kenne jetzt einen Schimpansen. Er heißt Fritz und lebt in einem kleinen Tierpark, zusammen mit Frederike, dem mürrischen alten Schimpansenweib. Einmal habe ich seine große, schwarze Hand berührt und er meine kleine Menschenhand. Einmal . . .

von CORNELIA KURTH

„Das würde ich an Ihrer Stelle nicht tun“, sagt Doc, der Tierparkdirektor, und reicht Fritz seinerseits die Hand, die dieser auch mit seinem dicken, schwarzen Finger reibt. Aber er guckt dabei zu mir, der Schimpanse. Oder etwa nicht? „Schimpansen sind gefährlich!“, sagt Doc. „Vor allem, wenn sie jemanden nicht mögen . . .“

Die Schimpansen haben ein großes Freigehege mit Ästen, Seilen und Stangen. Und ein Schlafhaus, in dessen Gang vor dem Käfig Doc und ich stehen, es ist Futterrunde und ich bin, wie schon manches andere Mal, dabei, eine ehrenvolle Auszeichnung.

„Aber er mag mich doch, er kennt mich genau“, erwidere ich, bemüht, mir ein leichtes Gekränktsein nicht anmerken zu lassen. Natürlich mag mich Fritz. Ich habe mich schon so oft mit ihm unterhalten, wenn ich alleine durch den kleinen Tierpark ging. Er kommt dann nämlich ganz vorn ans Gitter, schiebt sich einen dicken Ast zurecht und hockt sich schwungvoll darauf hin, den dicken Mund zugespitzt durch das Drahtgitter gedrückt. Dann spitze auch ich meinen Mund zu, nicke heftig mit dem Kopf und mache: „Uh, uh, uh.“ Das ist unsere Begrüßung. „Uh, uh, uh“, gibt Fritz kopfnickend zurück.

Nicht mit heimlichen Futtergaben habe ich seine Zuneigung gewonnen, sondern mit einem Spiel, das ich dem Praktikanten Sergej abguckte und das Fritz über alles liebt: einem Wettrennen, hin und her am Gitter entlang, er innen, ich außen, hin und her, bis Fritz plötzlich stoppt, auf halben Wege kehrtmacht und voll Stolz über seinen Abkürzungstrick die Hände zusammenschlägt.

„Er mag mich, das weiß ich“, sage ich also zum Doc, und in genau diesem Moment hüpft Fritz rückwärts zur Käfigwand, brüllt auf, greift nach einer Portion Sägemehl und stürmt brüllend auf uns zu. Beide sind wir voller Dreck, und während Fritz einen neuen Anlauf in unsere Richtung nimmt, bedeutet mir Doc mit einem triumphierenden Lächeln, doch besser vor der Schlafhaustür auf ihn zu warten. Ich gehe und sehe von außen durch die Fensterscheibe, wie Frederike, das mürrische Weib, von draußen hereinkommt. Dass sie ebenfalls triumphiert über meine Vertreibung, das ist gewiss.

Wie griesgrämig und verbittert ist die kleine, zarte Frederike, so ganz anders als der kommunikative Fritz, der prächtige Schimpansenmann mit dem liebenswürdigen Gesichtsausdruck. Unfreiwillig musste sie, die vor dreißig Jahren im afrikanischen Dschungel geboren wurde und erst später, verletzt, zu Menschen kam, zur alten Jungfer werden. Fritz nämlich ist mit seinem Liebesverlangen unwiderruflich an die Menschen gebunden, mag Frederikes Hintern zu gewissen Zeiten auch noch so rot und einladend leuchten. Wenn er flirtet, dann nicht mit ihr, sondern, zum Beispiel, mit mir.

„Wenn er Ihren Finger einmal gepackt hat, dann lässt er nicht mehr los, Frau Kurth. Dann reißt er Ihnen den Finger ab, Frau Kurth, ich warne Sie.“

Ich sehe diese große, schwarze Affenhand mit den dicken, schwarzen Fingernägeln, Hände, mit denen Fritz geschickt Kartoffeln und Äpfel schält, die sicher nach den Seilen fassen, wenn er seine Akrobatikshow für die Tierparkbesucher präsentiert, schwarze, behaarte Finger, mit denen er sich ins Drahtgitter krallt, wenn er mir gegenübersitzt und wir uns in die Augen sehen.

„Schimpansen unterscheiden genau, wer ihnen sympathisch ist und wer nicht.“ Ja, ja, ich weiß, Doc, ich weiß es ja. Es ist zum Beispiel kein Kunststück, zu erkennen, dass Frederike mich hasst. Schräg seitlich kommt sie angeschlichen, wenn Fritz und ich uns unterhalten, ganz, ganz beiläufig nimmt sie eine Handvoll Affendreck auf, lässt ihn wieder fallen, wenn ich sie scharf ansehe, und nimmt ihn wieder, sobald sie sich unbeobachtet glaubt.

Wenn Fritz mit Dreck schmeißen will, weil ihm, wie Doc sagt, „ein Gesicht nicht gefällt“, dann macht er vorher ein großes Trara, er brüllt, er wiegt sich drohend auf der Stelle hin und her und nimmt dann einen großen Anlauf von ganz hinten im Freigehege bis nach vorn, wo die Besucher stumpf stehen bleiben, weil sie eine akrobatische Übung erwarten und einfach nicht glauben wollen, dass er wirklich „mit Sch. . . wirft“, wie es warnend auf einem Schild am Gitter steht.

Frederike dagegen schleicht so lange stiekum mit ihrer Hand voll Dreck herum, bis der richtige Moment gekommen ist. Eifersucht macht geduldig, und irgendwann kommt immer der richtige Moment. Dann ist sie plötzlich ganz nah am Gitter und schwupp, schon sitzt die Ladung an der Jacke oder im Haar, und die kleine dünne Frederike geht langsam auf allen vieren beiseite, ohne ihr Opfer noch eines Blickes zu würdigen.

Ich könnte mit Dreck zurückwerfen, ja, das könnte ich, Sergej hat es mir sogar geraten. Ich tue es nicht. Ich kann es ihr verzeihen.

Nie aber, kein einziges Mal, hat Fritz nach mir geworfen, wenn ich allein vor seinem Gehege stand. Oft dagegen, fast jedes Mal, bekommt er einen Wutanfall, wenn ich mit dem Doc dort stehe, ja sogar, wenn wir auch nur gemeinsam vorübergehen. „Tja, so ist das!“, sagt Doc und duckt sich gelassen. Ihn kann Fritz ja nicht meinen, ihn, den Futtergeber, mit dem es sich keines der Tiere im Tierpark verscherzt. Oder etwa doch?

Nachtrag der Redaktion: Kurz vor Redaktionsschluss erreichte uns der folgende Brief von Cornelia Kurth.

„Ich war heute seit längerer Zeit mal wieder im Tierpark und fürchtete schon, Fritz würde mich vielleicht nicht mehr erkennen. Viele Besucher standen vor seinem Käfig herum, das macht ihn immer sehr wütend und so waren es ausgerechnet ich und mein Sohn, die zum allerersten Mal eine Hand voll echter Scheiße von Fritz abbekamen. Die ist orange wie Babykot, und sie stinkt, mamma mia, obwohl – oder gerade weil die Schimpansen im Zoo sich nur vegetarisch ernähren. Unsere Jacken waren total versaut.

Später, als der Tierpark geschlossen hatte, ging ich noch mal alleine zu ihm hin und – ich weiß nicht, ob ihr nachvollziehen könnt, wie froh mich das machte – natürlich erkannte er mich wieder! Mit Schwung hockte er sich vor mich hin, drückte seine Schnauze durch das Gitter und stöhnte ein bisschen melancholisch vor sich hin, während Frederike mit kühler Verachtung auf einem Ast saß und ununterbrochen an ihren Hintern fasste, um dann an ihrem Finger zu riechen.

Und dann begab sich Fritz in die Ausgangsposition zu einem unserer Wettrennen. So viel wie heute bin ich noch nie mit ihm gerannt, es ist wirklich zu nett, wir „unterhielten“ uns und rannten und hielten wieder an und rannten wieder, und ich werde jetzt ganz bestimmt wieder viel mehr in meinem Tierpark aufkreuzen, damit dieser Flirt weitergehen kann.“

CORNELIA KURTH, geboren 1960, lebt als freie Autorin in Rinteln. Zuletzt erschien von ihr der Roman „Ein Jahr mit 90 Tagen“, Rowohlt, Reinbek 2001, 160 Seiten, 12,90 Mark. Mehr, viel mehr zum Thema Schwarz im nächsten taz.mag