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: Wie Andy Warhol überlebt hat

Zeige deine Wunde!

Dieses unglaubliche Bild von Richard Avedon, das Warhols mehrmals genähten Körper zeigt: „Zeige deine Wunde!“, mit Beuys, aber Beuys hielt sie unterm Hut. Warhol zeigte sie, und er wird sich im Klaren gewesen sein, dass man dieses Bild einer umfassenden Entstellung nicht widerrufen kann. Neulich habe ich es in einer Ausstellung über das „zeitgenössische Gesicht“ gesehen, ein sehr freier Umgang mit dem Sujet, nicht wahr, in abgründiger Weise.

Es ist wohl nicht abwegig, das Attentat auf Warhol mit dem Attentat auf New York zu vergleichen, als medial kalkuliertes Verbrechen. Und interessant, es finden sich immer Leute, die daran ihre Schuldreligion exerzieren können und wollen: Wenn es einen so schwer trifft, dann wird er schon ein schlimmer Schurke gewesen sein!

Andrew Warhola war ein bleicher, schwieriger Bube in einem knallharten Bergarbeitermilieu. Er hat sich an alles geklammert, was ihm helfen konnte, seinem Schicksal zu entkommen: das ihm freundlich gesinnte Mädchen, die Starporträts aus Hollywood, die Rituale einer Kinderkrankheit, die Protektion der Mutter. Heute ist das leicht zu verstehen: die Geschichte eines homosexuellen Jungen – aber das ist „hindsight“.

Jedenfalls hatte er sich vorgenommen, in ein komplexes Milieu einzudringen, es zu betören und zu prägen. Dies war das rasche, prosperierende, aber durchaus noch familiäre New York der Fünfzigerjahre. Es ist ihm gelungen, und als ihm die Mittel zugewachsen waren, hat er sich zunehmend als das gezeigt, was er war: ein verhärmtes, voyeuristisches Wesen mit einem elektrischen Draht zur Disposition. Gut waren die dran, die die „Superstar“-Etikette als schwule Satire verstanden haben. Schlechter ging es denen, die dachten, man könne davon profitieren. Dass Warhol seine Narben im fotografischen Studio vorzeigte, bewies sein spätes Bekenntnis zum eigenen Prinzip. Es war negativ gepolt.

Damit ist die Geschichte natürlich nicht zu Ende, denn anders als die Türme (die die Idee der Warhol¥schen Doppelung so perfekt aufgenommen hatten) hat Warhol den tödlich gemeinten Angriff auf sich als Wahrzeichen überlebt. Viele Worte sind verloren worden über den Partylöwen und den Medienhai, der er dann wurde, und tatsächlich, Warhol als Unternehmer war kein Versager: Als Schmeichler der Reichen und Dummen, der Ehrgeizigen und der Privilegierten ein erstaunlicher Erfolg, wenn man an seine Herkunft denkt. Aber es ist nicht das Phänomen der Rache an den Milieus, was mich an Warhol fasziniert.

Wie schillernd auch immer die Figur Warhols bleiben wird, spielt er dennoch nicht die Rolle des Genies, in Vergleich mit dem das Volk immer kleiner wird. Warhol war doch kein zweiter Dalí! Warhol ist vielmehr in Lebensgröße präsent geblieben, als Teil seines Werks. Man wird das Gefühl nicht los, dass diese Comicfigur noch herumlungert, während man die Siebdrucke abschreitet. Die Aura der Factory ist, daran hat bisher keine pompöse Präsentation etwas ändern können, geblieben. Wir leben – noch – in derselben Zeit.

ULF ERDMANN ZIEGLER

Die Serie wird fortgesetzt. Mehr zur Ausstellung unter: www.warhol-retrospektive-berlin.de