schwarze taz
: „Blutprinzessin“: Der letzte Roman des französischen Krimistars Jean-Patrick Manchette passt in Kriegszeiten

Im scheinheiligen Gewand eines Actionthrillers

„Ein guter Roman noir ist ein sozialer Roman, ein gesellschaftskritischer Roman, der zwar Geschichten von Verbrechen erzählt, der aber zugleich versucht, die Gesellschaft – oder einen Teil der Gesellschaft – an einem bestimmten Ort, zu einer bestimmten Zeit abbzubilden“, erklärte der französische Krimiautor Jean-Patrick Manchette – und hörte auf zu schreiben. Der Begründer des Neo-Polar, wie der ästhetisch und politisch radikale Kriminalroman nach 1968 in Frankreich genannt wurde, veröffentlichte von 1971 bis 1981 zehn Romane, die das Genre wesentlich prägten. Als er erkannte, dass die soziale Bewegung, der er sich verpflichtet fühlte, sich totgelaufen hatte, sah er keinen Sinn mehr im Bücherschreiben.

Dann kam 1996, ein Jahr nach seinem Tod, doch noch ein letzter Roman heraus, und das war in Frankreich ein literarisches Ereignis ersten Ranges. Man widmete dem Buch und seinem Autor ganze Seiten im Feuilleton und feierte das Werk als krönenden Abschluss eines Schriftstellerlebens. In Deutschland, wo nur wenige Leser der linksintellektuellen Trashästhetik des Franzosen folgen konnten, blieb Manchette ein Geheimtipp, und es dauerte fünf Jahre, bis sich ein Verlag daran wagte, die „Blutprinzessin“ zu übersetzen. Wundersamerweise passt dieser ruppig inszenierte globale Actionthriller perfekt in die Welt, in der wir gerade angekommen sind.

Was die Deutschen gerade erst zu merken scheinen, ist ja nichts Neues: Es herrscht Krieg, immer und überall. Über den ganzen Planeten verteilt finden beständig große Schlachten, kleine Scharmützel und verdeckte Aktionen statt, werden Revolten niedergeschlagen und neue Aufstände angezettelt. „Blutprinzessin“ spielt in den 50er-Jahren vor dem Hintergrund des Ungarn-Aufstandes, des Algerienkriegs und der beginnenden kubanischen Revolution.

Manchette holt erzählerisch sehr weit aus, um anhand einer unbedeutend erscheinenden Geheimdienstverschwörung die intriganten Strukturen zu analysieren, die der internationalen Politik zu Grunde liegen.

Zunächst geht es nur um die missglückte Entführung eines kleinen Mädchens, das verschwindet und Jahre später in Kuba auftaucht, wo es zusammen mit ihrem Entführer in der Wildnis lebt. Eine Fotoreporterin namens Ivory Pearl wird dazu überredet, das Mädchen „zufällig“ zu finden, um es ihrem Onkel, einem politisch unbequemen Waffenhändler, zurückzubringen, obwohl dieser die Erbin seines Imperiums gar nicht haben will.

Strippenzieher dieses eigenartigen Komplotts, das den Waffenhändler zu Fall bringen soll, ist ein wohlhabender Brite namens Farakhan, der als ehemaliger politischer Aktivist noch immer Kontakte zu diversen Geheimdiensten unterhält. Er bringt Ivory Pearl dazu, sich um das Mädchen zu kümmern, und zettelt damit ein ziemlich absurdes und sehr blutiges Gefecht in den kubanischen Bergen an.

Nichts in dieser Geschichte ist, was es zunächst zu sein scheint. Alle Charaktere sind doppelbödig, alle Motivationen fadenscheinig, Gründe nur vorgeschoben, Verwicklungen doppelt und dreifach kompliziert. Kurzum: Es handelt sich um einen perfekt konstruierten politischen Roman. Nur merkt man das zunächst nicht.

Das Buch beginnt wie ein amerikanischer Trashkrimi, wandelt sich in eine Erzählung über moderne Abenteurer und entwickelt sich dann allmählich zu einem großen Roman über die weltpolitischen Verwicklungen der 50er-Jahre. Und das alles im scheinheiligen Gewand eines billigen Actionthrillers. Verblüffend. ROBERT BRACK

Jean-Patrick Manchette: „Blutprinzessin“. Aus dem Französischen von Christina Mansfeld. Distel Literatur Verlag, Heilbronn 2001, 205 Seiten, 18 DM