Karriere am Schneidbrenner

Die Musterdiebe aus Moabit – ohne Glamour, dafür mit Moral. Eine Ausstellung im Heimatmuseum Tiergarten zeigt anders als der Film authentischere Details aus dem Leben der Einbrecherbrüder Sass

Der Umgang mit dem Schneidbrenner ist ein Kunststück, sagt Kommissar Lehmann

von TINA BUCEK

Im rechten Winkel verlaufen die Schweißnähte, parallel zu den massiven Außenwänden des Tresors. Die schweren Bolzen sind getroffen, auf den Millimeter genau, die schützenden Stahltüren – Tore zum Paradies eines jeden Panzerknackers – Schicht für Schicht freigelegt und aufgehebelt. Der „saubere Bruch“ der Gebrüder Sass greift Raum – in Form eines kunstvoll filetierten Tresors, der das Herzstück der Ausstellung „Musterdiebe aus Moabit“ im Heimatmuseum Tiergarten bildet.

Franz und Erich – in dem Kinofilm „Sass“ zurzeit als Berliner Bonnie und Clyde gefeiert – wollten raus: aus 40 Quadratmetern in der Birkenstraße 57, Quergebäude, vier Treppen, die sie mit drei weiteren Brüdern und ihren Eltern behausten; aus Enge in Stube und Küche, vom schmalen Lohn der als Wäscherin im Krankenhaus Moabit schuftenden Mutter bezahlt. Aus einer Berliner Familie der 20er-Jahre, die, so dokumentieren es die Exponate in Notizen der Jugendgerichtshilfe und des Jugendamtes, „der Erziehung der schwierigen Burschen nicht gewachsen“ war. Traum der beiden Jungs aus Moabit, die sich recht und schlecht mit einer Autowerkstatt über Wasser hielten: maßgeschneiderte Anzüge, dicke Zigarren, ein schmuckes Gefährt – und natürlich der ganz große Coup.

Dafür fiel den Brüdern einiges ein: scheinbar infantile Käsekästchen-Krakeleien in einem Oktavheft zum Beispiel – ein personifizierter Tresor mit Armen und Beinen oder mit Nummern versehene Leitern, Säcke und Strichmännchen – die sich als ausgeklügelte Planungsgrundlage für Einbrüche in große Bankhäuser wie die Disconto-Gesellschaft am Wittenbergplatz entpuppten. Oder wohlüberlegte Mauerverstecke hinter Wandschrank und Fensterspind; diese verbargen Schmuck, Banknoten und Goldbarren, aber auch Schutzbrille und Dietriche monatelang vor den Ordnungshütern. Das Heimatmuseum platziert sie in einer Nische, eingelassen in eine überdimensionierte Wandtapete an der Stirnseite des Raumes. Und macht die Ausstellung über die Gentlemen-Gauner damit im Gegensatz zum aktuellen Kinostreifen sehenswert: Die lebensnahen Gegenstände, in vier Abteilungen zusammengestellt, brauchen nichts dazuzuerfinden. Verknotete Schuhe und Fußfesseln der Gefangenen, ihre fantasievollen Aufzeichnungen, das diebische Handwerkszeug vom Meißel bis zum Schneidbrenner bedürfen keiner szenischen Verdrehung durch fliegende KPD-Fahnen, blauäugige Salondiven oder auf Mafia getrimmte Schlägerbanden. Sie sprechen für sich.

Was dem Gaunerpärchen ganz und gar nicht einfiel, auch darauf legen die Ausstellungsmacher Wert, war die Anwendung von körperlicher Gewalt. „Franz und Erich Sass waren zwar ausgebuffte Diebe; aber sie haben nie einen Dritten mit in ihre Machenschaften gezogen. Und an keiner Stelle ist verbürgt, dass sie bei einem ihrer Einbrüche Personen verletzten“, erklärt Bernd Hildebrandt. „Ihr Erfindungsreichtum – und dass sie die Polizei mit ihren Tricks an der Nase herumführten, machte die Sass besonders bei den kleinen Leuten zu Volkshelden.“ Also Meisterdiebe mit Moral? „Die Jungs hatten Talent, der Umgang mit dem Schneidbrenner ist ein echtes Kunststück. Mit dem schweren Gerät muss man erst mal fertig werden“, bestätigt Besucher Bernd Lehmann. Auch er verdient mit „Tresortaten“ sein täglich Brot – wenn auch auf der anderen Seite, als Hauptkommissar beim Landeskriminalamt. Von der Heroisierung, wie sie die Ausstellung stellenweise vornehme – Franz und Erich Sass sollen laut Wandtafel die Briefkästen der bettelarmen Nachbarn mit Banknoten gefüttert haben – hält Lehmann nichts. „Die haben doch letzten Endes auch bloß gegen das Gesetz verstoßen – das ist doch keine Heldentat!“ Am 27. März 1940 exekutierten die Nationalsozialisten, auch das zeichnet die Ausstellung anders als der Film authentisch nach, Franz und Erich Sass auf Befehl des Führers – nachdem sie zwei Jahre lang im Zellengefängnis Moabit bzw. in Plötzensee eingesessen hatten – wegen Verstoß gegen das „Gesetz des Berufsverbrechertums“.

Das Heimatmuseum Tiergarten, Turmstr. 75, zeigt die Ausstellung „Gebrüder Sass – Musterdiebe aus Moabit“ bis zum 31. Januar 2002, Mo.–Mi., Fr. und So. 12–17 Uhr; Do. 12–18 Uhr