Gute-Nacht-Märchen mit Kopftuch

Die angebliche Fernseh- und Radiofreiheit in Afghanistan lässt auch nach Abzug der Taliban zu wünschen übrig. Frauen kommen kaum, wenn überhaupt nur als Geschichtenerzählerinnen oder Koranverse-Vorträgerinnen, über den Äther

von ROLAND HOFWILER

Ein kurzes Fernsehprogramm, einige Stunden Radio, zwei Kinos. Die neue Medienvielfalt in Kabul hat enge Grenzen. Und das nicht nur aus Sicht eines medienverwöhnten Europäers. Selbst im Vergleich zu Afghanistans Nachbarn Iran und Pakistan, beides nicht gerade fortschrittliche islamische Staaten, ist die Situation erschreckend. Gehen in Teheran oder Islamabad junge Pärchen gemeinsam zu einer Filmvorstellungen, heißt es in Kabul noch immer, Frauen bleiben außen vor. Indische Krimis und arabische Filmromanzen sind allein Männersache.

Als vergangenen Sonntag um 18 Uhr Ortszeit erstmals nach sechs Jahren „TV Afghanistan“ wieder auf Sendung ging, durfte zwar die 16-jährige Mariam Shakebar, mit Kopftuch statt Burka, die Zuschauer begrüßen. Ihre Rolle als Sprecherin blieb jedoch auf das Lesen von Koran-Versen beschränkt. Danach waren die Männer wieder unter sich.

Im Radio die gleiche Situation, drei Frauen, darunter die einst populäre Entertainerin Jamila Mujahid, dürfen meist nur als Gute-Nacht-Geschichten-Leserinnen für die kleinsten Zuhörer auftreten und müssen dann die Mikrofone wieder abgeben. Betrachtungen zur Weltlage bleibt den neuen Herren vorbehalten. Bei der neu gegründeten staatlichen Presseagentur Bakhtar sind bislang gar keine Frauen beschäftigt. Sieht man einmal ab von einigen alten Spielfilmen im Fernsehen und vereinzelten Radiohörspielen, wirkt das Programm alles andere als fortschrittlich. Immer wieder werden Gebete in Altarabisch gelesen, die kaum ein Afghane versteht. Die Auswahl von patriotischen Liedern und religiösen Gesängen unterscheiden sich kaum aus der Zeit der Taliban. Politische Diskussionsrunden, wie sie etwa bei den iranischen Sendern zum täglichen Programm gehören, scheinen bei den Kabuler Radiomachern noch tabu zu sein.

Westliche Radio-Freaks erstaunt jedoch vor allem, dass die Sendungen mit einer extem schwachen Feldstärke ausgestrahlt werden. Selbst die Radio-Abhörexperten bei der BBC fingen mit ihren Horchposten bis gestern noch keine einzige Sendung aus Kabul ein. Doch schon während des Zweiten Weltkrieges gelang es den britischen Radiolauschern von Caversham, alle Nazisender des Dritten Reiches aufzuzeichnen. Und auch Radio Scharia, die Propagandastimme der Taliban, konnte allen US-Luftschlägen zum Trotz mit modernen Empfangsgeräten noch am 15. November über die Lokalstation Kandahar auf 864 kHz Mittelwelle asienweit empfangen werden. Erst danach herrschte Funkstille. Radio Afghanistan ist dagegen über die Frequenz 1.548 kHz nicht einmal über die Stadtgrenzen Kabuls hinaus zu hören.

Bei jeder Revolution gilt, die Propaganda-Maschinerie des Feindes völlig auszuschalten und an deren Stelle flächendeckend ein eigenes Informationsnetz aufzubauen. In Afghanistan ist vorerst alles anders. Der Direktor von TV-Afghanistan, Humayon Rawi, gestand gegenüber ausländischen Journalisten ein, man verfüge nur über einen mobilen 10-Watt-Sender, der theoretisch eine Reichweite von 36 Kilometer erreichen könne, derzeit aber nur im Zentrum von Kabul im Umkreis von sieben Kilometern sein Programm ausstrahlen werde. Der Fernsehchef fügte hinzu, das Wichtigste für die Menschen in Afghanistan sei allerdings, überhaupt das Recht und die Möglichkeiten zu bekommen, für ihre Familien neue Radios, Fernsehgeräte und Satellitenschüsseln erstehen zu können. In Afghanistan hätten ausländische Sender in der Vergangenheit immer eine größere Rolle gespielt als die einheimischen Programme.