Die Kunst des Unmöglichen

Der globale Kapitalismus zerstört die sozialen Lebenswelten und bringt so neue Rassismen und Fundamentalismen hervor. Es hilft also nichts, dachte sich Slavoj Žižek, und hat deshalb mit Verve das linke antikapitalistische Projekt neu formuliert

Žižeks Ziel: Wir müssen den Raum der Ökonomie repolitisieren

von ULRICH BRIELER

Geisteswissenschaftliche Arbeiten gleichen in der Regel amtlichen Dokumenten: exakt und förmlich, überraschungs- und fantasielos. „Die Tücke des Subjekts“, das letzte Meisterwerk des Slavoj Žižek, ist das schiere Gegenteil: eine Wundertüte voller Neuigkeiten und Absonderheiten, prall gefüllt mit Lukullischem wie schwer Genießbarem. Wie man es dreht und wendet – theoretisch, politisch, stilistisch – dieses Buch ist eine Provokation des hiesigen großen Friedens in den Geisteswissenschaften.

Schon die ersten Worte lassen eine ebenso verflossene wie vertraute Melodie anklingen, Töne aus der Kindheit der Kritik, als die Welt noch voller Gut und Böse war: „Ein Gespenst geht um in der westlichen Wissenschaft, das Gespenst des cartesianischen Subjekts. Um es auszutreiben, haben sich alle wissenschaftlich-akademischen Mächte zu einer heiligen Allianz zusammengeschlossen . . .“ Žižeks bescheidenes Ziel: Retten wir dieses Subjekt vor seinen Exorzisten! Deren Liste ist beeindruckend lang: die Diskurstheoretiker, die Dekonstruktivisten, die Seins-Denker, die Feministinnen, die Öko-Philosophen, die Kognitionswissenschaftler, die New-Age-Propheten. Fragt sich nur: Wer und was bleibt da noch übrig?

Diese Frage beschreibt einen wichtigen Impuls der „Tücke des Subjekts“. Žižeks Buch ist eine Kontaktanzeige: Suche in dürftigen Zeiten politisch und philosophisch Gleichgesinnte! Er gibt sich selbst als theoretischer Schalk zu erkennen, der die Anstrengung des Begriffs niemals mit Humorlosigkeit verwechselt.

Dieses Buch ist auch deshalb so unzeitgemäß, weil es theoretische Obsession und Witz verbindet. Aber diese „fröhliche Wissenschaft“ ist kein Tribut an die Spaßgesellschaft. Dieser Witz tötet, das heißt: er klärt auf. Man lese nur Žižeks brillantes Porträt des Bill Gates. Das neue Gesicht des Kapitalismus kommt halb als kleiner Bruder daher, der good guy von nebenan mit dem sympathischen Hacker-Image, halb als Johnny Controlleti, der augenzwinkernd alles im Griff hat. Dieser Fetisch „Gates“ verdeckt die Tatsache einer kollektiven Kommunikation, die keinen Herren mehr benötigt. Warum können wir uns dieses „Subjekts“ nicht entledigen?

Žižeks zentrale Frage ist die nach der Stimmigkeit von zeitgenössischem Subjekt und global-totalitärer Ordnung. Lässt sich im Zeitalter neoliberaler Menschenführung noch von den Kräften des Menschen her denken und handeln? Kann eine Vorstellung vom Subjekt als Akteur seiner Existenz noch auf Unzweifelbares wie Mündigkeit, Autonomie und Reflexivität bauen? Die Verteidigung des Subjekts findet in diesem aktuellen Problem das Terrain ihrer Auseinandersetzung.

Žižek fragt zunächst bei den Klassikern nach, um über lieb gewordene Gewissheiten aufzuklären. In einem ersten Teil werden die philosophischen Chefetagen durchquert. Hier versichert man uns: Das Sichere ist nicht sicher, das Subjekt kein Herr im Haus. Das „diabolisch Böse“ bei Kant, die „Nacht der Welt“ bei Hegel, der „Abgrund der Freiheit“ bei Heidegger berichten von der untergründigen Seite der modernen Subjektivität, von ihrer unaufhebbaren Zerbrechlichkeit. Alles „human engineering“ findet hier seine Grenze. Der Mensch ist nicht rückhaltlos formbar.

In einem zweiten Teil zieht Žižek bei Theoretikern aus der Schule des französischen Philosophen Louis Althusser Erkundigungen über das Verhältnis von Subjekt und Politik ein. Diese Passagen allein wären allen Lobes wert. Denn wer in unserem Lande der Letztbegründer kennt schon einen Alain Badiou mit seiner Theorie des Wahrheits-Ereignisses, einen Jacques Rancière, der Demokratie als eine ständige Synthese des Ausgeschlossenen begreift, oder einen Etienne Balibar, der in Zeiten der Dekonstruktion des Nationalstaates auf dessen Rolle als Garant der gesellschaftlichen Debatte beharrt? Kaum einer dieser Text wurde bisher ins Deutsche übertragen. Ernesto Laclau, der vierte in diesem Bunde, ist mit seinen Überlegungen zur Hegemonie hierzulande die wohl bekannteste Figur.

Žižek konzentriert seine Theorierevue auf zwei Figuren. Mit Badiou beharrt er darauf, dass die Geschichte ereignisoffen gebaut ist. Der politische Moment, der Kairos, in dem das Subjekt die Erfahrung einer Sache macht, die vollständig die seine ist, kennzeichnet eine tatsächliche Historizität. Mit Rancière verweigert er sich der Vorstellung, Politik als einen geschlossen Raum mit konstanten Akteuren und Regeln (miss)zuverstehen. Politik ist eher der Akt der Öffnung, in dem die bisher Sprachlosen die Ordnung des Diskurses verändern, Problematisches auf die Tagesordnung setzen und neue Subjektivitäten entfalten. Es gibt also Hoffnung. Der charakter- und gesichtslose Individualismus aus den Händen neoautoritärer Menscheningenieure kann nicht das letzte Wort sein.

Schlag nach bei Nietzsche: „Während noch nie so volltönend von der ‚freien Persönlichkeit‘ geredet worden ist, sieht man nicht einmal Persönlichkeiten, geschweige denn freie, sondern lauter ängstlich verhüllte Universal-Menschen.“ Also: Das Gerede von der freien Individualität im globalen Dorf funktioniert so trefflich, weil es die materielle Menschwerdung von der Realität der Mehrwertschöpfung abkoppelt. Tatsächlich regiert in der Welt der buntscheckigen Individualitäten unerbittlich die Logik der Verwertung.

Das Humane – das Denken, Fühlen, Wollen, Wissen, Begehren des Subjekts – ist stärker denn je der Rohstoff der ökonomischen Prozesse. Die globalitären Regimes überschlagen sich in der Verwertung der individuellen Differenzen. Die digitale Ökonomie „lebt“ von einem Subjekt nach ihrem Bilde, das die Verwandlung zum Humankapital als Lebenssinn akzeptiert. Man will sich optimal verkaufen, weil man es muss; und dieser „Druck“ wird als Freiheit verstanden. Diese postmoderne Dialektik von Herr und Knecht gilt es zu verstehen.

Žižek macht aus dieser aktuellen Not eine theoretische Tugend. Durch die Klassiker belehrt, muss man zunächst die Zerbrechlichkeit des Subjekts anerkennen. Die dunkle Seite existiert, die Dialektik der Aufklärung lebt. Ja, die Herrschaft der Vernunft kann monströse Subjekte hervorbringen. Ein Subjekt geht nie ganz in einer Ordnung – einer seelischen Struktur, einem Diskurs, einer Gesellschaft – auf. „Es“ bleibt der Rest an Unvorhersehbarem und an Fragilem, der jede Ordnung leben lässt. Žižek spricht von einer „Kraft“ und „Spannung“ im Subjekt, die auch heißt: eine Entscheidung zu wagen, sich dem Ereignis anvertrauen. Žižek nimmt dem Subjekt und gibt ihm. Es verliert seine transzendentale Schwerkraft und gewinnt das Gewicht der Aktualität, des Ereignishaften. Dies ist die eine Seite der „Tücke des Subjekts“.

Was Žižeks Buch endgültig zum Skandal macht, ist die politische Zuspitzung, die im dritten Teil erfolgt. Denn die neue politische Ökonomie des Subjekts geht nicht reibungslos auf. Dies ist die andere Seite der „Tücke des Subjekt“. Der globale Kapitalismus zerstört die sozialen Lebenswelten, die halbwegs stabile Persönlichkeiten garantiert haben. Machen wir uns nichts vor! Die neuen Rassismen, Fundamentalismen und Metaphysiken sind leider, leider keine Anachronismen. Sie bilden den notwendig falschen Schein einer heutigen Welt, die aus den Fugen ist. So gleicht das zeitgenössische Subjekt jenem „Zwangsneurotiker, der unaufhörlich daherredet, und auch sonst fürchterlich aktiv ist, gerade um sicherzustellen, dass etwas – etwas, das wirklich zählt – nicht aufgestört wird, dass es weiter hübsch stillhält.“ Und dieses „etwas“ ist mehr denn je „die unerbittliche Logik des Kapitals“.

Suche in dürftigen Zeiten politisch und philosophisch Gleichgesinnte!

Es hilft also alles nichts. Wir müssen wieder vom guten alten Kapitalismus reden, und dies sehr ernsthaft! Deshalb verteidigt Žižek die „Dialektik der Aufklärung“ gegen die Vatermörder aus der zweiten und dritten Generation der Frankfurter Schule. Er kritisiert aber vor allem die Risiko-Theoretiker der zweiten Moderne. Sie unterschätzen nicht nur die Wucht, mit der das heutige Subjekt dekonstruiert wird. Sie geben auch keine Auskunft über die sozioökonomischen Wurzeln der endlos beschworenen Risiken.

Das Ergebnis ist eine „Postpolitik“ des guten Funktionierens, die Kabel verlegt, Bildung vermarktet und öffentliches Eigentum verschleudert. Postpolitik revolutioniert den Status quo, ohne ihn im Kern anzutasten. Žižeks Alternative: „Echte Politik ist das genaue Gegenteil davon, das heißt die Kunst des Unmöglichen: Sie verändert gerade die Parameter dessen, was in der existierenden Konstellation als ‚möglich‘ betrachtet wird.“

Žižek will also allen Ernstes ein linkes antikapitalistisches Projekt neu formulieren, und dies mit einer präzisen Zielvorgabe: Wir müssen den Raum der Ökonomie repolitisieren, das scheinbar Unveränderliche zur Disposition stellen. Der Treppenwitz der aktuellen Weltgeschichte besteht darin, dass im Moment der Totalökonomisierung niemand über Verdinglichung redet, niemand nach struktureller Gewalt fragt, niemanden das Subjekt interessiert, das dieser Horror einer verwalteten Welt hervorpresst. Reden wir also wieder über die Produktionsbedingungen, über die wirklichen Verhältnisse des Lebens und Arbeitens, bevor wir uns tiefschürfenden Debatten über die „Anerkennung“, das „Risiko“ oder die „Differenz“ zuwenden!

Vielleicht liegt in der Ernsthaftigkeit dieser Frage das größte Verdienst von Žižek. Und vielleicht kann man nur so ernsthaft fragen, wenn man viel weiß und wissen will. In diesem Sinne ist die „Tücke des Subjekts“ das Resultat einer enormen Belesenheit. Aber diese Belesenheit zerpflückt jeden akademischen Dünkel. Zwischen Kant und David Lynch, zwischen der „Kritik der Urteilskraft“ und dem „Wüstenplaneten“, zwischen Hegel und Hitchcock, zwischen Forrest Gump und Lacan, zwischen Judith Butler und Tony Blair bleibt kein Raum für akademisches Naserümpfen. Die ultimativen Letztbegründer und die gleichgültigen Differenzierer sollen nicht das letzte Wort haben. Zwischen neokonservativen Hegelianern und neoliberalen Heiden muss es ein Drittes geben, wenn auch keinen „dritten Weg“.

Daran arbeitet Žižek, und prompt setzt er sich dem Verdacht der Rechtgläubigen aus: Und wo stehst du? Oder in der Sprache der herrschenden Orthodoxie: Begründe deine Normativität! Also, antwortet Žižek: Ich bin einer, auf den ihr nicht bauen könnt. Ein Denken ohne Gebrauchsanweisung: Wir sind in der Phase der Kritik, alles weitere wird sich ergeben.

Slavoj Žižek: „Die Tücke des Subjekts“. Aus dem Englischen von Andreas Hofbauer u. a., 500 Seiten, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2001, 64 DM (32,80 €)