Freiheit zum Ausprobieren

Es geht auch ohne Microsoft: Rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft hat ein deutscher Ingenieur eine Version des Betriebssystems Linux entwickelt, die Computeranfänger ohne komplizierte Installation zum Laufen bringen können

von ERIK MÖLLER

Auf neuen PCs für das Weihnachtsgeschäft ist in der Regel als Betriebssystem schon Windows XP vorinstalliert. Zwangsregistrierung und Integration von Dienstleistungen dienen der noch stärkeren Bindung der Kundschaft an den Standard von Microsoft. Die einzige heute noch sinnvolle Alternative wäre das freie Betriebssystem Linux. Aber nur fest entschlossene, mit Computern vertraute Anwender werden die Mühe auf sich nehmen, ein komplettes Betriebssystem von Grund auf neu zu installieren. Darunter befindet sich nicht viel mehr als die nacke Hardware: Prozessor, Speicher, Festplatte, Grafik-Soundkarte: Alles will richtig konfiguriert werden und elementare Basisprogramme lassen sich nun mal nur von Hand installieren.

Das gilt auch für Windows. Doch das Erfolgsrezept von Bill Gates besteht darin, den Anwendern diese Mühe schon im Laden abzunehmen. Der Händler liefert den Rechner fertig installiert mit ein paar Anwenderprogrammen dazu. Bislang scheiterten alle Angriffe auf dieses Geschäftsprinzip. Der ehemalige Apple-Angestellte Jean-Louis Gassée entwickelte mit Kollegen ein eigenes Betriebssystem, BeOS, das er als Ergänzung zu Windows verstanden wissen will. Es zeichnet sich durch besondere Multimedia-Fähigkeiten aus, galt als sehr schnell und als sehr stabil. Leicht ließen sich damit Bilder bearbeiten oder Videos schneiden. Software-Entwickler lobten das System und schrieben viele große und kleine Programme. Auch führende PC-Hersteller wie Compaq und Hitachi waren zunächst beeindruckt, doch Gassée erhielt eine Abfuhr nach der anderen. Nur Hitachi erklärte sich bereit, auf einer Notebook-Serie BeOS gemeinsam mit Windows zu installieren. Doch als das Modell ausgeliefert wurde, war BeOS aus den Startoptionen verschwunden. Erst nach kryptischen Instruktionen ließ sich das versteckte System wieder herstellen.

Frei ist nicht kostenlos

Gassée bot das System den PC-Herstellern sogar kostenlos an. Erfolglos: Microsoft hatte mit den Hardware-Erzeugern über so genannte OEM-Verträge („Original Equipment Manufacturers“) deutlich niederigere Einkaufspreise für Windows vereinbart, wenn sie sich verpflichteten, kein anderes Betriebssystem zu installieren. Diese Verträge stehen bis heute unter strengen Verschwiegenheitsabkommen und sind deshalb kaum bekannt. Ursprünglich hatte Microsoft sogar das getrennte Anbieten anderer Betriebssysteme über die Preispolitik faktisch unmöglich gemacht, aber dies wurde 1995 per Gericht verboten. Ein Ende des Kartellverfahren gegen Microsoft ist noch immer nicht abzusehen. Von einigen US-Bundesstaaten wird eine inzwischen erzielte außergerichtliche Einigung angefochten: Nach wie vor kann Microsoft deshalb den PC-Herstellern untersagen, für Konkurrenzprodukte zu werben.

Für Gassée käme jedes Urteil ohnehin zu spät: Seiner Firma gelang es nicht, einen „Bruch in die Mauer“ zu schlagen, wie er sich ausdrückte. Sie wurde vom PDA-Hersteller Palm zu einem Spottpreis von 11 Millionen Dollar aufgekauft. „Kein großer Verlust“, kommentierten manche Vertreter der Free-Software-Bewegung, die meinen, dass Software, deren Quellcode nicht verändert werden kann, nicht frei, sondern höchstens „Freibier“ sei.

Zweifellos erfüllt Linux ihre Forderungen, doch der Preis an Zeit und Nerven ist für private Anwender hoch. Immerhin arbeiten seit fünf Jahren mehrere Entwicklerteams an einfach zu bedienenden „Desktops“ im Windows-Stil und dazugehörige Anwender-Software. Diese Pakete sind inzwischen teilweise in einem sehr ausgereiften Zustand. Besonders für das Internet ist Linux mittlerweile sehr fit: E-Mail-Clients mit ausgefeilten Filteroptionen zur Blockierung von Werbemüll sind ebenso vorhanden wie flotte Web-Browser oder Chat-Clients. Das kostenlose Grafikprogramm „Gimp“ kann sich durchaus mit dem kommerziellen Adobe Photoshop messen, das rund 1.100 Euro kostet. Sound- und Video-Software sind ebenso vorhanden – und für Kinder bietet Linux schier unendliche Trainingsmöglicheiten für eine spätere EDV-Karriere: Werkzeuge und Bücher für professionelle Software-Entwicklung befinden sich im Lieferumfang (www.andamooka.org).

Auch die letzte Bastion der Windows-Plattform wird von den Scharen freier Entwickler langsam, aber zielgenau in Angriff genommen: Büro-Software wie Textverarbeitung und Tabellenkalkulation. Gleich mehrere kostenlose Pakete unter Linux konkurrieren mit Microsofts Kommerzlösung „Office“, darunter das von Sun gesponserte „OpenOffice“, „GNOME Office“ und „KOffice“. Sie alle enthalten Textverarbeitung, Kalkulation, Präsentations-Software und Ähnliches.

Nur: Bis irgendetwas davon auf dem schönen neuen PC laufen konnte, standen bisher harte Stunden der Grundinstallation bevor. Der Diplomingenieur Klaus Knopper aus Kaiserslautern will an dieser Stelle eine Bresche für Linux schlagen. Er entwickelte die Linux-Variante Knoppix, die überhaupt nicht installiert werden muss. „Idealerweise wird dem Benutzer nach dem Booten von CD die KDE-Oberfläche mit Hunderten von vorinstallierten und bereits konfigurierten, bequem über ein Menü erreichbaren Anwendungsprogrammen mit integrierter Kurzbeschreibung präsentiert“, verspricht Knopper.

Schadensbegrenzung

Knoppix erkennt die Hardware automatisch und schreibt keine Daten auf die Festplatte, sondern nutzt ausschließlich den flüchtigen Hauptspeicher (RAM) des Rechners und die CD. So kann man nach Herzenslust Programme ausprobieren und auch Daten speichern, denn vorhandene Festplatten-Partitionen werden ins System eingebunden und können auf Wunsch genutzt werden. Wenn die Soundkarte korrekt erkannt wurde, kann man sich gleich nach dem Start ein paar hübsche kostenlose Musiktracks anhören – „Open Source is on your mind“, plärrt die Lead-Sängerin der „Magic Mushrooms“. Der Internetzugang ist ebenfalls im Nu konfiguriert, und zu den vorinstallierten Programmen gehören natürlich auch Office-Pakete.

Neben Vorführungen und Experimenten sieht Knopper noch andere Verwendungszwecke für sein Demo-Linux: „Da es sich bei der CD um ein nur lesbares System handelt, besteht keine Gefahr, dass Nutzer absichtlich oder aus Versehen Änderungen vornehmen und den Rechner damit längere Zeit außer Gefecht setzen.“ Wer einen Rechner benutzen will, ohne Spuren zu hinterlassen, ist mit Knoppix ebenfalls gut beraten. Auch als Rettungssystem oder Linux-Kompatibilitätstest für Neurechner eignet es sich.

Da alle Programme von CD geladen werden, ist das System allerdings langsamer als eine Festplatteninstallation. Die lässt sich bei Bedarf nachholen, doch empfehlt sich dann eine vollwertige Distribution wie SuSE (www.suse.de) oder Mandrake (www.mandrake.com). Knoppix kann man kostenlos im Internet herunterladen (www.knopper.net), doch mit 650 Megabyte Umfang empfiehlt sich die Bestellung einer CD, etwa bei liniso.de. Knoppix kostet dort 10 Mark. moeller@scireview.de