ns-zwangsarbeiter
: Kein Anlass zum Schulterklopfen

Zuerst die gute Nachricht: Seit Juni 2001 haben 400.000 frühere NS-Zwangsarbeiter eine Entschädigungszahlung bekommen. Selbstlob und Schulterklopfen sind indes nicht gefragt: 56 Jahre nach Kriegsende konnte es um Gerechtigkeit im engen Sinne nicht mehr gehen. Die Entschädigung ist die späte, sehr späte Anerkennung eines Unrechts, das nicht zu entschädigen ist. Zehn Milliarden Mark sind vorhanden. Das klingt nach viel, doch gemessen an den mannigfachen legitimen Ansprüchen ist es wenig.

kommentarvon STEFAN REINECKE

Nur wenn wir diese Begrenzungen beachten, können wir von einem Erfolg reden. Das wichtigste Ziel des Unternehmens ist erreicht: Überlebende Zwangsarbeiter bekommen ein paar tausend Mark. Dieser Erfolg geht auf das Konto von Rot-Grün, auf das des deutschen Regierungsbeauftragten Graf Lambsdorff und von etlichen, die sich dafür engagierten, als in Deutschland kaum jemand etwas davon wissen wollte.

Für Nachrichten über den Stand und die Schwierigkeiten der Entschädigung interessiert sich die Öffentlichkeit nun kaum noch. Denn viele Deutsche empfinden die Entschädigung als symbolischen Schlusspunkt: Wir haben unsere Schulden bezahlt, zwar spät, aber immerhin. Doch dieses Bewusstsein, nach langer selbstquälerischer Beschäftigung mit dem Gestern endlich im Stadium glücklicher Historisierung angekommen zu sein, kommt etwas zu früh und ist zu sehr von sich überzeugt. Es übersieht, dass die Praxis der Entschädigung mannigfache Widerhaken hat.

So vertritt die Bundesregierung offenbar die Ansicht, italienische Zwangsarbeiter, die zuvor Soldaten waren, verdienten keine Entschädigung. Dabei sind sie als einstige Verbündete und spätere „Überläufer“ noch viel schlechter behandelt worden als jene, deren Recht auf Entschädigung nicht mehr ernsthaft in Frage gestellt wird. Die Interpretation der Bundesregierung ähnelt verdächtig der jahrzehntelang gültigen deutschen Rechtsposition, dass Zwangsarbeit kein NS-typisches Verbrechen war – und deshalb nicht so schlimm.

Die Stiftungsinitiative weigert sich zudem, die Zinsen jener zehn Milliarden Mark ganz und gar für Entschädigungen bereitzustellen. Juristisch ist strittig, ob die Initative dazu verpflichtet ist – moralisch ist die Sache kristallklar. Die hartleibige Haltung der Initiative erinnert daran, wie mies die Zahlungsmoral der deutschen Wirtschaft war. Und sie erinnert daran, dass wir Historisierung nicht mit Selbstzufriedenheit übersetzen dürfen.