Kompromiss in einer Glaubensfrage

Im Streit um das Brandenburger Schulfach LER schlagen die Verfassungsrichter einen Vergleich vor: Das Fach darf bleiben, wenn Religion gestärkt wird

aus Karlsruhe CHRISTIAN RATH

Das Bundesverfassungsgericht übt sich in einer neuen Rolle. Statt den Rechtstreit um das neue brandenburgische Schulfach LER (Lebensgestaltung, Ethik, Religionskunde) juristisch zu entscheiden, legte das Gericht gestern einen politischen Kompromissvorschlag vor. Darin wird eine deutliche Aufwertung des konfessionellen Religionsunterrichts nahe gelegt. Beendet ist der Rechtsstreit aber nur, wenn die Konfliktparteien sich auf dieser Grundlage tatsächlich einigen können, und das ist – bei aller Autorität des Bundesverfassungsgerichts – keineswegs sicher.

Geklagt hatten evangelische und katholische Kirche, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sowie zahlreiche Eltern. Unter Berufung auf eine entsprechende Garantie im Grundgesetz wollen sie erreichen, dass auch im Land Brandenburg der Religionsunterricht „ordentliches Lehrfach“ wird. Bisher ist nur das 1996 eingeführte Fach LER versetzungserheblich. Religionsunterricht wird als freiwilliger Zusatzunterricht erteilt.

Die Landesregierung unter Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) stützt sich dagegen auf eine Ausnahmeklausel des Grundgesetzes. Danach gilt die Kirchengarantie nicht in Ländern, in denen 1949 der Religionsunterricht kein ordentliches Lehrfach war. Umstritten ist, ob diese „Bremer Klausel“ auch auf die neuen Bundesländer anwendbar ist.

Doch diesen Streit will Karlsruhe vorerst nicht entscheiden. Im Juli hatte das Gericht überraschend eine „einvernehmliche Verständigung“ vorgeschlagen. Wie in Karlsruhe zu hören war, kam den Richtern die Idee in der mündlichen Verhandlung, bei der die Konfliktparteien „wie zerkrachte Eheleute“ wirkten, die nach einem Streit beleidigt auf ihren Positionen beharren – auch wenn die gar nicht so weit auseinander liegen.

Nachdem sich beide Seiten zu einem Einigungsversuch bereit erklärten, legte Senatspräsident Hans-Jürgen Papier gestern den „Vergleichsvorschlag“ des Gerichts vor. Demnach soll der Religionsunterricht in vielen Punkten wie ein normales Schulfach behandelt werden. So soll er in die normale Unterrichtszeit integriert und nicht in unattraktive Nachmittagsstunden abgeschoben werden.

Den Lehrern, die Religionsunterricht erteilen, soll dies mit bis zu acht Stunden pro Woche auf ihr Unterrichtsdeputat angerechnet werden. Externe Religionslehrer können an den Beratungen der schulischen Gremien, zum Beispiel der Zeugniskonferenz, teilnehmen. Wenn die Kirchen dies wünschen, können im Religionsunterricht Noten gegeben werden. Auf Wunsch der Eltern oder der (älteren) Schüler sind diese ins Zeugnis aufzunehmen.

Konflikte könnte es bei der Frage geben, ob der Religionsunterricht versetzungserheblich sein wird. Das haben die Richter offen gelassen. Hier werden die Kirchen sicher noch konkrete Zusagen der Landesregierung einfordern. Außerdem heißt es im Karlsruher Vorschlag, dass der schulische Religionsunterricht „in der Regel ab 12 Teilnehmern“ durchgeführt wird. Bei einem Katholikenanteil von 4 Prozent unter den brandenburgischen Schülern nützt der katholischen Kirche der Karlsruher Vorschlag also wenig. Aber auch bei evangelischen Schülern, deren Anteil bei 20 Prozent liegt, wird die „kritische Masse“ häufig nicht zustande kommen. Auch hier wird es wohl noch Modifikationen geben.

Der berlin-brandenburgische Landesbischof Wolfgang Huber sagte nach der etwa zehnminüten Verlesung des Vorschlags nur, dass die Kirchen das Modell jetzt „prüfen“ würden. Manfred Stolpe wurde etwas konkreter und deutete an, dass es im Landtag auch Stimmen geben werde, denen der Karlsruher Vorschlag „zu weit“ gehe. Er hoffe allerdings auf eine Einigung, weil sie „endlich Rechtssicherheit“ bringe.

Bis Ende Januar müssen die Konfliktparteien dem Gericht nun mitteilen, ob ihnen eine Einigung auf dieser Grundlage „möglich erscheint“. Beendet wäre der Rechtstreit aber erst, wenn der brandenburgische Landtag mit Wirkung für das im nächsten Sommer beginnende Schuljahr das Schulgesetz tatsächlich ändert – und die Kläger daraufhin ihre Klagen zurückziehen.