religionsunterricht
: Die Schule wird modern

Die Zeit der Ideologen geht zu Ende – jetzt endlich auch im Klassenzimmer. In einer Frage, in der es bislang keinen Mittelweg zu geben schien, schlugen die Karlsruher Verfassungsrichter gestern einen Kompromiss vor. Sie gaben dem Unterrichtsfach „Lebensgestaltung, Ethik, Religionskunde“ (LER), das in Brandenburg den herkömmlichen Religionsunterricht ersetzt, grundsätzlich ihren Segen – und machten zugleich den Kirchen ein paar Zugeständnisse. Nur eine Woche nach dem Schock des internationalen Schulvergleichs Pisa gaben sie einen weiteren Anstoß zur Modernisierung des deutschen Schulsystems.

Kommentar von RALPH BOLLMANN

Denn die Vorgabe des Grundgesetzes, das kirchlichen Religionsunterricht als Pflichtfach festschreibt, wird der Wirklichkeit nicht mehr gerecht. Immer weniger Menschen gehören einer der beiden Großkirchen an. Das führt nicht nur zu praktischen Problemen, weil die Schulen die separaten Stunden für Katholiken, Protestanten und Nichtgläubige, für Juden und Muslime kaum organisieren können. Viel problematischer ist, dass niemand etwas über die Religion des anderen lernt, wenn jede Religionsgemeinschaft ihr eigenes Süppchen kocht.

Ohne solche Kenntnisse ist ein Zusammenleben im „postsäkularen Zeitalter“ kaum möglich, das der Philosoph Jürgen Habermas jüngst ausrief. Andere Länder sind dieser Einsicht längst gefolgt. In Schweden oder Großbritannien wurden die kirchlichen Religionsstunden durch einen überkonfessionellen Unterricht ersetzt, für den der Staat verantwortlich ist. Und selbst im laizistischen Frankreich, wo Religionsunterricht an staatlichen Schulen immer als undenkbar galt, wird neuerdings über ein Modell à la LER diskutiert – um den Schülern wenigstens Grundkenntnisse über die Weltreligionen zu vermitteln.

Nur in Deutschland schmoren die Christen weiter im eigenen Saft. Und all jene, die sich vom Religionsunterricht abmelden, lernen nicht einmal elementare Grundlagen der abendländischen Kultur kennen. Genau deshalb liegt das LER-Modell auch im Interesse der Kirchen. Schließlich war es die damalige Kultusministerin Marianne Birthler, eine engagierte Christin, die das Fach 1992 in Brandenburg einführte – auch wenn der Landesbischof Wolfgang Huber bislang mit missionarischem Eifer dagegen ankämpfte. Wieder einmal geht der Osten bei der Modernisierung voran. Irgendwann werden die westdeutschen Länder folgen müssen.

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