Schily auf der sicheren Seite

Mit den Stimmen von Rot-Grün und Union beschließt der Bundestag das Antiterrorgesetz. Die FDP entdeckt ihre Tradition als Bürgerrechtspartei wieder

aus Berlin SEVERIN WEILAND

Max Stadler ist ein Abgeordneter, der meist zurückhaltend und nüchtern kommentiert, was die Regierung zur Innenpolitik vorlegt.Während der gestrigen Debatte über das Sicherheitspaket II leistete sich der Richter außer Diensten allerdings eine Ausnahme. „Erinnern macht das Leben schön“, zitierte der 52-Jährige den französischen Autor Honoré de Balzac, „aber nur das Vergessen macht es erträglich.“ Selbst Volker Beck, der rechtspolitische Sprecher der Grünen, musste da schmunzeln, obwohl die literarisch abgesicherte Attacke doch seiner Partei galt.

Für die Liberalen, die gestern zusammen mit der PDS die Gesetzesänderungen im Bundestag ablehnten, war die Aussprache eine willkommene Gelegenheit, bereits für verschüttet gehaltene rechtsstaatliche Traditionen wiederzubeleben. Das Bundesinnenministerium, so Stadler forsch, habe seine „Zettelkästen geleert“. Ein „epochales Gesetzeswerk“ sei entstanden, für das gerade deshalb besonders ausgiebige parlamentarische Beratungen notwendig gewesen seien. Doch mit der Eile, die die rot-grüne Regierung an den Tag gelegt hätten, habe man die Mitwirkungsmöglichkeiten der Opposition „praktisch übergangen,“ meinte er. So seien der FDP erst am Dienstagabend, am Tag vor der Sitzung des Innenausschusses, 30 Seiten mit Änderungsvorschlägen übergeben worden.

Der Auftritt Stadlers in einer ansonsten vorweihnachtlich-ruhigen Debatte verführte Bundesinnenminister Otto Schily zur Bemerkung, der normalerweise so ruhige Abgeordnete sei „heute so ein bisschen als Bauchredner von Herrn Möllemann aufgetreten“. Eine Anspielung auf die widerspenstige Haltung, die der FDP-Vizevorsitzende Jürgen Möllemann in den letzten Tagen gegenüber dem Sicherheitspaket II eingenommen hatte – und für die sich Schily später bei Stadler entschuldigte: Er habe ihn nicht herabsetzen, sondern einen Scherz machen wollen, der wohl nicht bei der FDP „angekommen“ sei: „Also, der Scherz wird zurückgenommen“, so Schily knapp.

Anders als ihr liberaler Kollege beschränkte sich PDS-Rednerin Petra Pau – unter Verweis auf ihre kurze Redezeit – auf eine höchst allgemeine Kritik: „Nichts Vernünftiges liegt auf dem Tisch.“ Stadler nahm sich dagegen die einzelnen Gesetzesänderungen vor: Die Befugnisse des BND im Inland würden erweitert, obwohl der Dienst eigentlich für das Ausland zuständig sei. Die geheimdienstliche Datenabfrage bei Post und Banken, bei Telefonfirmen und Fluglinien sei nicht auf Verdächtige beschränkt, eine vorrangige richterliche Kontrolle nicht vorgesehen.

Dagegen sparten SPD, Grüne und Union nicht mit wechselseitigem Lob. Der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz sprach den Kollegen von CDU und CSU seine „Anerkennung“ dafür aus, dass sie „bei aller Eile“ des Verfahrens zugestimmt zhätten. Auch er habe sich mehr Zeit gewünscht, damit der eine oder andere hätte begreifen können, „wie gut dieses Gesetz ist“. Im Bundesrat würden auch die Landesregierungen mit FDP-Beteiligung zustimmen, sagte er an die Adresse der Liberalen.

Volker Beck von den Grünen sagte, Rot-Grün habe jene Sicherungen längst eingebaut, die die FDP verlange: „Rot-grün weiß, was Liberale wünschen.“ So das Recht des BKA zu Vorermittlungen nicht aufgenommen worden. Es werde auch keine zentale Datei für biometrische Merkmale in Reise- und Personalausweisen eingerichtet. Außerdem sei das Gesetz auf fünf Jahre befristet.

Die Union stimmte der liberalen Kritik in einem Punkt zu: Die Eile des Verfahrens sei für die Parlamentarier unzumutbar gewesen, sagte der Innenexperte Erwin Marschewski. „Im Großen und Ganzen“ aber sei das Paket „akzeptabel“. Allerdings müssten die Abschiebungsbestimmungen verschärft und die Kronzeugenregelung neu aufgelegt werden. Die jetzt noch abgelehnten Unionsanträge, so Marschewski frohlockend, werde Rot-Grün „ohnehin ein paar Monate später beschließen“.