Aus Liebe zur Liebe

Abschied von der Prüderie: Dorothy Iannones „Pictures and Books“ in der Galerie Barbara Wien sind das Resümee einer sexuell befreiten Künstlerinbiografie, die sich stets dem voyeuristischen Männerblick mit Ironie entgegenstellte

Mit dem Vorsatz, die Cocktailstunde an Bord so hingabevoll zu zelebrieren wie ihr bisheriges Leben auch, bestieg Dorothy Iannone Upham im Juni 1967 mit Emmet Williams und ihrem damaligen Ehemann James den isländischen Frachter Bruarfoss von New York nach Reykjavík. Die opulente Aufzählung der Zutaten für die achttägige Überfahrt, die Dorothy zusammenstellte – so auch Türkischer Honig, Wiener Würstchen, Fois de Strasbourg, Oliven für Martinis oder schwertfömige Plastikzahnstocher – bildet die Ouvertüre zu ihrer autobiografischen „Islandic Saga“, einer 1978 entstandenen Bildgeschichte aus Zeichnungen und Texten, die vor allem eines ist: Die sinnliche Huldigung an ein Dasein, das unzertrennlich mit den Künsten verbunden ist.

Bereits bei ihrer Ankunft am Pier verliebte sich die Amerikanerin in den Mann, der dort die Gäste erwartete: Dieter Roth, Dichter, Maler, prominentes Enfant terrible der europäischen Szene. An diesem immer wieder von Iannone heraufbeschworenen Tag entwickelte sich eine euphorische und lebenslange Verbindung, die das Paar nach Dorothys sofortiger Scheidung für die nächsten sieben Jahre an wechselnde Schauplätze führte: Basel, London, Düsseldorf. „Kunst ist die Welt, die ich erschaffen habe, die mich nie im Stich läßt, eine Welt in die ich zurückkehren kann, und lächeln und dort unsterblich sein.“

Die Welt, wie Dorothy sie sah: Eine Ausstellung von Iannones Bildern und Büchern in der Berliner Buchhandlung und Galerie Barbara Wien dokumentiert nicht nur die außergewöhnliche Extravaganz der inzwischen 68-Jährigen, sondern gibt auch Einblick in ein künstlerisches Werk, das wegen seiner rückhaltlosen Sicht weiblicher Sexualität bis in die 90er-Jahre mit Zensur, Einfuhrverboten, Beschlagnahmen, dem Ruf von Pornografie und Obskurantismus belegt war.

„Let me squeeze your fat cunt – am I your first woman I am your slave I begin to feel free“: Die grell geschminkten Figuren, die von den großformatigen Acrylbildern der 1970/71 geschaffenen Eros-Serie blicken, tragen ihre Worte wie rituelle Tätowierungen auf dem Körper, als Teil einer alles vereinnahmenden Stilisierung. Ketten, Kostüme, Armreife, Haartrachten, Bauchnabel, Tierschwänze, Geschlechtsteile – jedes Detail ist mit klaren Linien eingefasst und mit leuchtenden Farben gefüllt. Fleisch wird zu Fläche, Körperbehaarung zum Ornament. Iannones im Liebesakt verharrende Männer und Frauen, das sind Transformationen der Liebe von Dorothy und Dieter, martialische Heroen des 20. Jahrhunderts, durchströmt von Erinnerungen und archetypischer Symbolik, von Mode und Zeitgeist. Im 1997er Katalog „Love is forever, isn’t?“ posiert das Paar selbstbewusst auf einem in den frühen Siebzigern aufgenommenen Foto von Charles Wilp, umgeben von Persönlichkeiten wie Daniel Spoerri oder Norbert Tadeuz, als Teil einer kulturellen Elite, die ausschließlich von Männern definiert ist.

Ekstatische geschlechtliche Vereinigung als Ausdruck spiritueller Erleuchtung: „Es geht darum, bewußt zu leben und die Dinge jederzeit intensiv wahrzunehmen. Es klingt einfach, aber es ist sehr schwer“, sagte Iannone in einem Interview in den Neunzigern. Wie schwer ihr Weg war, offenbart der bei Barbara Wien ausgestellte Band „The Story Of Bern (Or) Showing Colours“, der ironisch einen Fall von Selbstzensur schildert – exemplarisch für die Prüderie jener scheinbar fortschrittlichen Epoche. Während Allen Jones’ Plastiksklavinnen gläserne Tischplatten stemmten, galt der voyeuristische Blick auf weibliche Körper nach wie vor als männliches Privileg, an dem Iannones Darstellungen von auf Anzügen und Männerkörper applizierten Penissen und selbstbewusst präsentierten Schamlippen erheblich rüttelten. Als Roth seine Partnerin 1969 einlud, an einer von Harald Szeemann organisierten Ausstellung in der Schweiz teilzunehmen, kam es zum Eklat: Aus Angst vor polizeilicher Schließung wegen Pornografieverdachtes überklebten die übrigen Mitwirkenden der Show Genitalien auf Iannones Bildern mit braunen Streifen.

Das Buch illustriert diese Geschichte und zeigt demonstrativ die splitternackte Künstlerin, die Streifen um Streifen von ihren Bildern entfernt. Das Paar zog seine Arbeiten zurück und hinterließ lediglich einen von Dorothy gefertigten Grabstein mit der Inschrift: „Hier geht Dorothy Iannone, die nur eine Beschwerde vorzubringen hat: Sie dachte, ihre Freunde seien Künstler, doch sie sind es nicht.“

Für den Werdegang von Iannone, die bereits 1961 erfolgreich einen Prozess gegen die US-Regierung führte, um die Werke Henry Millers einführen zu können, spielte der Zusammenhang zwischen Zensur von Kunst und Unterdrückung der freien menschlichen Entfaltung über Jahrzehnte hinweg eine entscheidende Rolle: „Meine Arbeit war die Wiedergabe meiner spirituellen Reise, und zugleich beleuchtete sie diesen Weg.“

Das wirklich Skandalöse an Iannones Werk und Person ist die Rezeption: Der schlüpfrigen Herabwürdigung ihrer Kunst als „nicht jugendfrei“, dem jovialen Ton von Kritikern, die ihre Liebhaber als „Herren“ bezeichnen, so als ob die Künstlerin eine Nutte sei, und der Ignoranz von Kuratoren setzte sie Großzügigkeit und poetische Schlagfertigkeit entgegen. „Ich hatte keinen Zorn auf die Männer. Ich strebte schließlich nach höchster Vereinigung mit ihnen“, antworte sie einmal auf die Frage nach ihrem Verhältnis zur Frauenbewegung. „Dies, liebe und verehrte Leser, ist selbstverständlich eine verfrühte Autobiographie“, schreibt sie in „An Islandic Saga“, „und ihr, die ihr leidenschaftlich mit mir lest, müßt nun für immer meine Freunde sein.“

OLIVER KOERNER VON GUSTORF

bis 12. 1., Di–Fr 14–19, Sa 12–18 Uhr, Galerie Barbara Wien, Linienstr. 158