Der grüne Planet

Trotz Fleckensalz, Wasserenthärter, Geschirrspülmittel und Geschirrspülmaschinen: Es ist nicht einfach, sich täglich um den Abwasch zu kümmern. Was aber passiert, wenn einer mal ein paar Tage gar nicht spült, das steht in dieser Kurzgeschichte

von FALKO HENNIG

Friedrichs Problem war der Abwasch. Niemand konnte es ihm ansehen, er wirkte gepflegt, sein Haar war ordentlich gekämmt und seine Fingernägel so rein wie sein Atem wohlriechend. Seine Sachen waren sauber und seine Unterwäsche frisch. Und doch war da dieses Problem, in der Küche seiner Wohnung in der Choriner Straße türmten sich die schmutzigen Teller zu schmierigen Bergen, die Tassen standen mit Kaffeesatz wochenlang herum, bis sich in ihnen grüne Gespinste gebildet hatten. Ihm war dann übel, er aß viel auswärts und kam nicht gern nach Hause.

Irgendwann überwand er sich doch und spülte alles ab, er brauchte fast für jeden Teller eine ganze Spülbeckenfüllung Wasser, legte dann manchmal etwas zum Weichen hinein, vergaß es; das Wasser verdunstete und hinterließ eine eklige Fett- und Dreckschicht. Am nächsten Tag machte er sich wieder an die Arbeit und irgendwann war endlich wieder alles sauber und alles begann von vorn.

Er hatte sich mal eine Spülmaschine gekauft und gedacht, dass nun sein Problem gelöst wäre. Aber sonderbarerweise war ihm die Bedienung noch unangenehmer als das Abwaschen mit Hand und er kam nicht klar mit den vielen verschiedenen Mitteln, die in die Maschine mussten, Fleckensalz, Wasserenthärter, Geschirrspülmittel, er fand nicht die dafür nötigen Behältnisse und irgendwann war die Maschine auch verstopft und er spülte weiter alle paar Monate mit Hand. Aber die Berge dreckigen Geschirrs wurden größer, da er sich auch öfter einfach neues kaufte aus Ekel vor dem dreckigen zu Haus. Eine Zeitlang versuchte er es mit Papptellern, aber die wurden nach einigen Malen Benutzen und Abspülen immer so lappig und er hielt das dann nicht für eine Lösung.

Einmal war es besonders schlimm. Jede freie Stellfläche in seiner Küche war voll widerwärtigen Geschirrs, selbst der Boden war bedeckt und nur eine kleine Gasse war noch frei. Ja, es war wieder einmal Zeit, den Abwasch zu machen. Morgen war Samstag, Friedrich nahm sich nichts weiter vor für den nächsten Tag, schloss die Küchentür und legte sich schlecht gelaunt schlafen.

Am nächsten Morgen wachte er auf, putzte sich noch mürrischer die Zähne als sonst und öffnete die Tür zur Küche. Über Nacht hatte sich Schimmel wie eine Moosschicht über all die Geschirrberge gelegt, die ganze Küche war grün, an manchen Stellen blau. Friedrich ging hinein, selbst der Fußboden war bedeckt von dem grünen Gewächs und Friedrich blieb verwundert in der Mitte seiner Küche stehen. Von der Spüle kam ein Blubbern, Friedrich drehte sich um. Die Schicht bildete über der Spüle eine Blase, die größer und größer wurde. Mit einem lauten „Plapp“ zerplatzte sie und der ganze Raum war mit grünem Staub gefüllt wie mit dichtem Qualm. Friedrich hustete, ihm wurde schlecht, er versuchte aus dem Raum zu laufen, rutschte aus und fiel auf der Schwelle zum Flur hin. Er spürte, wie etwas von hinten über seine Beine kroch, er musste wieder husten, giftgrüner Schleim kam ihm aus dem Mund. Er kroch noch einen Meter weiter in den Flur, das Luftholen fiel ihm immer schwerer, das letzte was er spürte war, wie ihn etwas Feuchtes einhüllte, sich über Brust, Arme und seinen Kopf deckte, Friedrich starb.

***

Einige Tage später standen zwei Mütter in der Choriner Straße, die gerade ihre Kinder aus der Kita abgeholt hatten. „Bestimmt eine Session, ein Happening“, sagte die eine.

„Ja, bestimmt“, erwiderte die nächste, „hier wohnen ja so viele Künstler.“ Sie schauten beide zu dem Fenster in der 2. Etage hoch. Sie waren von innen vollkommen grün und blau. Plötzlich knackte es, dann zerbrach das Glas und aus den Fenstern ergoss sich eine nicht enden wollende grüne Schleimmasse.

„Mein Gott! Diese Künstler!“, sagte die eine Mutter und lief rasch mit ihrem Kinderwagen Richtung Schönhauser Allee. Doch der Schleim hörte nicht auf zu fließen, eine Wolke grüner Sporen stieg auf in den Himmel der Stadt, die Mutter lief noch etwas schneller. Der Schimmel floss weiter aus dem Fenster in der Choriner Straße, er floss in beiden Richtungen, der jungen Mutter ging der Schleim schon bis zu den Knöcheln. Es war jetzt schwierig für sie zu gehen, der Boden war rutschig und dann passierte es auch schon. Sie rutschte aus, fiel zur Seite und stieß dabei den Kinderwagen um. Das Kind schrie, die pilzige Masse hüllte erst das Kind ein, dann seine Mutter.

„Diese Scheißkünstler!“, war der letzte Gedanke der Frau.

***

Der Flug BA 853 von London nach Berlin hatte eine halbe Stunde Verspätung. Frank Dreyer, der Pilot, war ziemlich schlechter Laune. Die Wettermeldungen aus Berlin waren ziemlich widersprüchlich. Manchmal war vom Tower in Tegel ein irres Lachen über Funk zu vernehmen, diese Deutschen! Als ob der Funk für Scherze gedacht wäre. Dreyer flog ruhig, eigentlich machte ja alles der Autopilot. Sein Kollege döste vor sich hin.

„Warst du schon mal in Berlin?“, fragte Dreyer ihn. Der Kollege schreckte auf: „Nein, noch nie.“

„Ziemlich schöne Stadt“, sagte Dreyer. „Es ist die Stadt mit den meisten Grünflächen von allen Großstädten!“

Sein Kollege schaute hinunter: „Mein Gott, du hast Recht! Ich glaub, ich hab noch nie so eine grüne Stadt gesehen!“

Dreyer sah nach, tatsächlich, alles grün. So grün hatte er Berlin dann doch nicht in Erinnerung gehabt. Dreyer schaltete für den Landeanflug auf Handsteuerung um, der Tower war heute wirklich ein Witz, es war keine einzige vernünftige Information von dort zu kriegen, ob Karneval war oder eines dieser deutschen Pogromfeste? Dreyer dachte nicht weiter drüber nach und konzentrierte sich auf die Landung. Sonderbar, sogar die Landebahn war grün. Diese Deutschen mit ihrem Umweltfimmel!

Dreyer setzte die Maschine sanft auf, rollte aus und wartete, bis alle abgefertigt sein würden. Sonderbare Geräusche kamen aus dem Passagierraum, wildes Husten und gurgelnde Schreie. Was war da los? Dreyer öffnete die Pilotentür, grüner Rauch drang ein, dann wie feuchte Lava ein grünblauer Schleim, Dreyer rutschte aus und fiel hin. Die zähe feuchte Masse schlug über ihm zusammen, beim Einatmen drang sie in seine Lunge. Kurz bevor er ohnmächtig wurde, hörte er wie die Turbinen aufheulten und das Flugzeug wieder zu rollen begann. Eine letzte Vision zuckte durch seinen Kopf: Die Erde, der grüne Planet!