american pie
: Alljährliche Titelverwirrung im College Football

Ausgerechnet Nebraska

Man stelle sich vor, am Ende einer Bundesliga-Saison würden die beiden besten Mannschaften zu einem Endspiel um den Meistertitel antreten. Qualifiziert wären allerdings nicht automatisch die beiden Tabellenersten. Stattdessen würden die Teilnehmer nach einem komplizierten, im Computer berechneten Schlüssel ermittelt. In die neue Rangliste gingen unter anderem ein: Umfragen unter den Bundesliga-Trainern und Sportjournalisten nach dem besten Team; Ranglisten von Fan-Sites aus dem Internet; das Torverhältnis in Relation zur Stärke der Konkurrenz.

Absurd, meinen Sie? Genau das passiert alljährlich in den USA im altehrwürdigen College Football. Wenn die traditionell kurz vor Weihnachten beginnenden Bowl-Spiele am 3. Januar mit dem großen Finale in der Rose Bowl in Pasadena beschlossen werden, ist möglicherweise auch nach diesem letzten Spiel zwischen den Miami Hurricanes und den Nebraska Cornhuskers unklar, wer denn nun das beste College-Football-Team im Lande ist.

Bevor es aber so weit kommt, sorgt bereits die Auswahl für die Rose Bowl für Diskussionsstoff in den amerikanischen Sport-Bars. Unstrittig war allein die Teilnahme der in allen bisherigen elf Saisonspielen unbesiegten Hurricanes. Andere Teams wie Tennessee (mit dem deutschen Verteidigungsspezialisten Constantin Ritzmann), Oklahoma, Texas und Florida dagegen verdarben sich ihre Titelchancen, als sie sich ausgerechnet in ihren letzten Saisonspielen teilweise überraschende Niederlagen einhandelten.

Als der Computer schließlich Nebraska als zweiten Finalteilnehmer ausspuckte, war die Empörung groß. Vor allem in Colorado, das Nebraska vor wenigen Wochen deutlich mit 62:36 geschlagen hatte. Man sei das bessere Team, sagte Coach Gary Barnett, vergaß aber zu erwähnen, dass sich seine Mannschaft früh in der Saison selbst zwei Niederlagen gegen vergleichsweise minderwertige Konkurrenz eingehandelt hatte. Frank Solich, der Trainer von Oregon, die der Computer zum viertbesten Team rechnete, verglich das Auswahlverfahren gar mit Krebs.

Die Kür der würdigen Kandidaten mag dieses Jahr besonders kompliziert sein, die Systemdiskussionen aber sind bereits Jahrzehnte alt. Seit 1936 wählten zunächst die Sportjournalisten den Champion, 1950 kam dann eine Umfrage unter den Trainern dazu. In Jahren mit mehreren ungeschlagenen Teams konnte das dazu führen, dass es auch mehrere „National Champions“ gab. Das sollte mit der Einführung der Bowl Championship Series (BCS) vor vier Jahren verhindert werden, die anhand des im Computer errechneten Schlüssels die beiden besten Teams in einer Art Endspiel zusammenführt. Dieses Jahr könnte aber der Fall eintreten, dass Nebraska gegen Miami verliert und sich mit dem Sieger aus Oklahoma – Oregon die Meisterschaft teilen muss.

Ständige Kritik an der BCS führte bereits zu alljährlichen Änderungen im Berechnungssystem und auch für die kommende Saison sind schon „Verbesserungen“ angekündigt. Immer wieder werden Play-Offs gefordert, die aber nicht durchzusetzen sind gegen die traditionelle Struktur aus regional gewachsenen Ligen und den überaus lukrativen Bowl-Spielen. Veranstalter und Universitäten fürchten um Einnahmen in Millionenhöhe, mit denen nicht nur die Football-Programme bezahlt werden, sondern auch ein Großteil des sonstigen an den Hochschulen ausgeübten Spitzensports. Zuschauerzahlen, die nicht selten höher liegen als im Profi-Football, und hoch dotierte TV-Verträge finanzieren zu einem nicht unwesentlichen Teil die olympischen Medaillen der USA in weniger attraktiven Sportarten wie Schwimmen oder Leichtathletik.

So wird wohl alles beim Alten bleiben und schließlich ist ja auch unser System nicht immer perfekt: Letzten Sommer gab es wohl nicht nur ein paar Schalker, die sich gewünscht hätten, der deutsche Fußball-Meister würde durch Akklamation bestimmt. THOMAS WINKLER