Keine Angst vor den Netzpiraten

Zum Nachlesen jetzt auch auf bedrucktem Papier: Aufsätze über die Subkultur der guten Hacker und der bösen Industrie

von VERENA DAUERER

Wer sind sie eigentlich, die Hacker von heute? Sehen sie wirklich so aus wie in Filmen wie dem Thriller „Passwort: Swordfish“? Schlecht rasierte, markige Programmierer um die dreißig? Oder ist das nur ein lauer Versuch, eine Subkultur erneut zu romantisieren, wie es in den 80ern der Cyberpunkliteratur unter Vorreiter William Gibson gelang?

Für die Popkultur machen sie auf jeden Fall wunderbar gefährlichen Unfug, das wissen wir schon seit „War Games“. Man möchte sie sich klischeehaft gerne als kontaktgestörte, introvertierte Geeks mit Hornbrille vorstellen, im besten Fall als Nerds, die verwirrt in den Gängen des MIT rumrennen. Oder als pubertierende Nervsäcke, die damit angeben, Kreditkartennummern geknackt zu haben, und die Community selbstlos mit dem Crack zur Entschlüsselung von DVDs beschenken.

Der Sammelband „Netzpiraten“ bleibt auf dem Tatsachenboden und möchte alle diejenigen entmythisieren, die illegal kopieren, Viren basteln, kleine gefräßige Programme schreiben und deren Verquickung mit Softwareindustrie und Behörden ausleuchten. Autoren des Onlinemagazins Telepolis liefern einen kulturwissenschaftlichen Rundblick über die Szene. Stichworte wie „Hoax“, „Spam-Mails“, „Info-War“ und „Open Source“ mögen für wenig Eingeweihte nicht immer selbstverständlich sein. Ganz ohne Basisvorwissen wird man nicht weit kommen mit diesem Buch. Aber das ist der wohl kaum vermeidbare Preis für den Versuch der Autoren, auch technisch versiert an ihre Themen heranzugehen. Ein anderer Nachteil ist ebenfalls unvermeidlich: in gedruckter Form lässt es sich nicht so schnell aktualisieren wie sein Gegenstand. Lesenswert bleibt es dennoch. Eines der umfangreichsten Themen ist das Napster-Filesharing und seine von der Industrie selbst hochgespielten Ausmaße. Vollklingend formuliert von David McCandless: „Napster gab der bis dato jungfräulichen und selbstgefälligen Musikindustrie einen ersten Eindruck davon, wie die Kehrseite der Informationsrevolution aussehen kann.“

Was „Piraterie“ aber in diesem Zusammenhang bedeutet, das Wort, das an den einäugigen Räuber mit dem Enterhaken auf hoher See denken lässt, erklärt Bernhard Günther. Er arbeitet heraus, wie es als Angstmacher zum Feindbildbau durch die Software- und Medienindustrie benützt wird. McCandless wiederum liefert die Fakten. Er schaut einem Profi für gecrackte Software, „Warez“ genannt, über die Schulter – fairerweise dann aber auch dem Profi auf der anderen Seite, einem Detektiv. Beide sind sie Nerds, nur wer ist davon der gute?

Es gibt viele und feine Unterschiede in der Subkultur der Hacker-Community und jede Menge Eitelkeiten: Die „wahren“ oder „aufklärerischen“ Hacker schauen auf „Script Kiddies“ hinunter, denn sie können programmieren, auch wenn sie nur Server lahm legen. Die anderen schaffen das mit zusammenkopierten Programmen zwar auch, nur eben ohne das richtige Bewusstsein. Ein kleines Brevier über Viren, Würmer und die Menschen, die sie entwickelten, liefert Janko Röttgers. Er widmet sich den wunderlichen Sammlern, die jedes Virus auf ihrer Festplatte hegen und pflegen. Zwangsläufig wird der Trittbrettfahrer der Viren, der Hoax, beleuchtet: eine Kuriosität und Teil der „Folklore des Internets“, so Medosch.

Ein Hoaxer mailt Warnungen vor Viren, Kettenbriefe, Kunstmails durch die Gegend und freut sich, die Community zu foppen. Das möchten die kommerziellen, elektronischen Werbesendungen nun nicht. Trotzdem ärgern sie jeden guten Netzbürger womöglich noch mehr als der Spam der Hacker. Dabei war 1936 ein großer Wursthersteller noch ganz entzückt über seine Wortschöpfung für sein neues Produkt, Frühstücksfleisch in Dosen, so erläutert Florian Schneider den Aufstieg des Begriffs aus der analogen in die digitale Welt des schwer verdaulichen Mülls.

vdauerer@t-online.de

Armin Medosch, Janko Röttgers (Hrsg.): „Netzpiraten – Die Kultur des elektronischen Verbrechens“. ISBN 3-88229-188-5, 192 S., 29 DM, Reihe Telepolis