Verschorfte Realitätsoberfläche

„Deep Darkness“: Schau über die „Motivation des Bösen“ im Altonaer Museum  ■ Von Petra Schellen

Sie kann als Jähzorn auftreten, sich schleichend entwickeln, sie kann jahrzehntelang schlummern, bevor die Eruption passiert: Aggression ist weder durch psychologische noch soziologische Erklärungen in rationale Gedankenmuster zu zwingen.

Genausowenig begrifflich zähmbar ist die Motivation, Böses zu tun, wie die aktuelle Ausstellung Deep Darkness im Altonaer Museum untertitelt ist. Entstanden ist die Schau als Reaktion auf das Attentat vom 11. September. Exponate Hamburger Künstler sind Resultat einer Ausschreibung, deren Einsendeschluss der 25. September war. Eine kurze Spanne, kaum geeignet, um an die Wurzeln des Unbegriffenen zu reichen. Geeignet aber, sich intuitiv eigener und fremder Reaktion auf die Erschütterung zu nähern.

Merkwürdigerweise haben dabei alle KünstlerInnen Zuflucht zur Serie genommen, als fühlten sie sich verpflichtet, quasi-dokumentarisch zu agieren und minutiös einzukreisen, um bloß keine Wahrnehmungslücke zu lassen. Ein interessantes Phänomen auch deshalb, weil die derzeit in der Kunsthalle präsentierte Schau Monets Vermächtnis ebenfalls der Serie gilt.

Angst spricht aus den in Altona gezeigten Werken – und die Scheu, Gewalt als asymmetrischen Weltpartikel hinzunehmen. Deshalb bleiben die Exponate hilflos und kreisen das Thema meist nur von außen ein: Leere Schauplätze führen sowohl Ralf Jurszo als auch Frauke Hänke vor. Belanglos-idyllische Orte finden sich hier, zu schmuck, um Bühne eines Verbrechens zu sein. Gummigraphien von Gebirgen, Häusern, Wohnzimmern fertigt etwa Frauke Hänke, fügt Dorfnamen und Daten hinzu, als seien die Abbildungen Beweismaterial einer kriminologischen Untersuchung. Und obwohl keiner der Orte realer Verbrechensschauplatz war, beschleicht einen dumpfes Entsetzen angesichts der roten Kreuze, die auf die Bilder gestickt sind. Fast reflexhaft stellt man sich zum Beispiel vor, dass der markierte Papierkorb vielleicht eine Leiche birgt.

Den Schritt in die Authentizität ist Ralf Jurszo gegangen, der – in impressionistischer, präraffaelitischer oder surrealistischer Manier – Wälder, Mädchen- und Männerporträts teils zu Triptychen zusammenfügt und in Rot die Namen real vermisster Kinder daraufkrakelt. Nichts bleibt hier von Idylle, die genausogut Grab sein kann. Bizarre „Still“-Leben schafft der Künstler hier, die ahnen lassen, dass die „Sicherheit“ eines Ortes brüchig ist und allein auf subjektiver Empfindung beruht. Die Erd- und Reali-tätsoberfläche wird so zur schwärenden Wunde, deren Schorf schnell abplatzen kann.

Das Gegenteil: Sicherheit, an der man erstickt, inszeniert Annette von Keudell auf ihren drei Monitoren, auf denen sich eine nackte Frau windet. Sie scheitert beim Versuch, sich zu drehen, weil ihr der Bildschirm seine Form aufzwingen will; die Folge: schleichende „Paralyse“. Ob irgendwann Aggression folgt, steht dahin. Vielleicht bleibt auch ein Krüppel, zwischen Voyeurismus und TV-Format zerquetscht. Ein soziologischer Erklärungsversuch also für das Phänomen Gewalt, der genauso wenig weiterhilft wie die zwölf Tafeln von Susanne Dettmann, die Tier- und Pflanzenfotos mit Begriffen wie Intoleranz, Hass und Dummheit konfrontiert.

„Versuch einer Zoologie des Menschen“ könnte das Werk auch heißen, das die Frage aufwirft, wie Natur und Gewalt – der Titel lautet Können Hasen hassen? – parallel existieren können. Oder ist in einer Welt des Hasses der Hase schon zum Abstraktum geworden? Und kann man dem Phänomen durch Semiotik beikommen – indem man etwa aus Filzbändern einen Lappen strickt, auf dem in roter Wolle das Wort „Katastrophe“ prangt? Der Titel: Selbstgestrickt; die Schöpferin: Traud'l Knoess.

Erklärungen bietet letztlich keins der zwischen 1998 und 2001 entstandenen Exponate. Auch ist die Schau weit davon entfernt, Gründe für die „Motivation, Böses zu tun“ zu finden. Sie stellt aber ein, zwei wichtige Fragen.

Deep Darkness – über die Motivation, Böses zu tun: Altonaer Museum, bis 6. Januar. Geöffnet Di–So 10–18 Uhr. Nur 24. und 31.12. geschlossen