Das Internet der sozialistischen Revolution

Die Verfassung des Inselstaates Kuba verbietet das Privateigentum an Produktionsmitteln für Massenmedien und damit auch die private Nutzung des Internets. Aber auch Fidel Castros Regierung will die neue Technik nutzen, solange sie nur den Zugang zum Netz kontrollieren kann

von BERT HOFFMANN

„Internet“, so feierte vor vier Jahren Granma, das Zentralorgan der Kommunistischen Partei, sei „wie der Buchdruck für das Mittelalter“. 1997 stellte die Parteizeitung ihre erste Online-Ausgabe ins Netz. (www.granma.cubaweb.cu). Die Freude über die neuen Informations- und Kommunikationstechniken wird im sozialistischen Kuba jedoch schnell getrübt, wenn es aber um anderes geht als um die internationale Selbstdarstellung der Revolution.

Das Internet stellt die Regierung vor ein Dilemma, denn im Artikel 53 der Verfassung steht: „Den Bürgern wird die Freiheit des Wortes und der Presse gemäß den Zielen der sozialistischen Gesellschaft zuerkannt. Die materiellen Voraussetzungen für ihre Ausübung sind dadurch gegeben, dass Presse, Radio, Fernsehen, Kino und andere Massenkommunikationsmittel in staatlichem oder gesellschaftlichem Eigentum sind und in keinem Falle Gegenstand privaten Eigentums sein können.“

Wie soll das im Internet gelten? Die erste Antwort des Staates war die schlichte Verweigerung des Zugangs. Anfang 1999 gab es auf der Insel lediglich 22.000 Computer mit irgendeiner Art von Netzanschluss, darunter – bei einer Bevölkerung von 11 Millionen – ganze 2.000, die tatsächlich Zugang zum Internet hatten. Müßig zu sagen, dass sie fast ausnahmslos in den Händen hochrangiger Kader, zentraler staatlicher Institutionen oder ausländischer Geschäftsleute waren. Noch in der Schaltstelle für Internet-Angelegenheiten, CENIAI, durften selbst Abteilungsleiter nur unter Aufsicht ins Web, sie mussten protokollieren, welche Seiten sie aufriefen, und begründen, wozu.

Dies hat sich inzwischen geändert. Zwar bemühen sich Castro-Gegner nicht weniger als zuvor, das Internet zu nutzen, von „Freiheit-für-Kuba“ -Websites bis zu Hacker-Attacken. Dennoch wurbegriff die Regierung in Havanna allmählich, dass ihr restriktiver Umgang Entwicklungschancen verbaut. Eine Öffnung zu den neuen Technologien ist für die Wirtschaft so unverzichtbar wie den Bildungs- und Gesundheitssektor.

Öffentliches Signal für den Kurswechsel war die Gründung des neuen, nach chinesischem Vorbild gestrickten „Ministeriums für Informatik und Kommunikation“ (MIC) Anfang des Jahres 2000, geleitet von einem Zivilisten, Ignacio González Planas, zuvor Minister für Metallverarbeitung und Elektronik. Gleichwohl wird die Sorge um Sicherheit und politische Kontrolle kaum vernachlässigt: Der starke Mann im Hintergrund bleibt Ramiro Valdés, altgedienter Comandante der Revolution und langjähriger Innenminister des Landes.

Seit Gründung des Ministeriums ist die verstärkte Nutzung der neuen Inormationstechnik zu einem zentralen Punkt auch in den Reden von Fidel Castro avanciert, und erhebliche finanzielle Ressourcen fließen in die Digitalisierung des Telefonnetzes und den Erwerb von Computern, die Modernisierung des nationalen Backbones und in die Wiederbelebung der „Jugend-Computer-Clubs“ des Kommunistischen Jugendverbands. Ein nationaler Plan zur „Informatisierung der Gesellschaft“ ist aufgelegt worden, der ehrgeizige Ziele formuliert, von E-Commerce zwischen den Staatsbetrieben bis zu Netz-Terminals in allen Postämtern.

Carlos Lage, der Wirtschaftsbevollmächtigte des Politbüros, formulierte den Spagat der Regierung in einer programmatischen Rede so: „In Kuba arbeiten wir daran, die Informatisierung in bewusster und geordneter Form voranzutreiben, so dass wir ihre außergewöhnlichen Vorteile nutzen und ihre negativen Effekte verhindern.“

Repressive Toleranz

Doch es bleibt bei der erklärten Verhinderung jeglichen privaten Zugangs. Schon Telefonanschlüsse werden nach „mérito“, nach „gesellschaftlichem Verdienst“, vergeben. Und selbst wer einen PC, Telefon und auch noch die Dollars für die monatlichen Anschlussgebühren hat, darf keinen privater Netzzugang haben. (Natürlich gibt es auch für Internetanschlüsse, wie für alles in Kuba, einen Schwarzmarkt, der allerdings aufgrund des damit verbundenen hohen politischen Risikos relativ schwer zugänglich, unzuverlässig und teuer ist.)

Zugelassene Nutzer müssen eine Selbstverpflichtung unterschreiben, im Internet keine rassistischen, pornografischen oder „antikubanischen“ Inhalte zu suchen. In jeder Institution, in jedem Betrieb mit Internetzugang gibt es einen Sicherheitsbeauftragten, der regelmäßig Ausdrucke des Proxy-Speichers mit einer Auflistung der mit den jeweiligen Passwörtern aufgerufenen Internetseiten einsieht.

Hinzu kommt die soziale Kontrolle durch Kollegen und Vorgesetzte. Eine flächendeckende und lückenlose Überwachung ist freilich kaum mehr ein praktikables Ziel, das weiß auch der kubanische Staat. Sie wird durch die generelle Drohung mit einem teilweise bemerkenswert hohen Duldungsniveau ersetzt, kombiniert mit einzelnen exemplarisch harten Strafen: Einem ganzen Forschungszentrum in Havanna wurde für ein halbes Jahr der Netzzugang gekappt, weil mit einem einzigen der dort verwendeten Passwörter gegen die Selbstverpflichtung verstoßen worden war.

Doch die Toleranzgrenze ist von Ort zu Ort und Zeit zu Zeit überaus unterschiedlich. Freie Mail-Adressen bei Hotmail oder Yahoo sind weit verbreitet, obwohl der Staat sie als Sicherheitsrisiko ansieht und nur die offiziellen Mail-Adressen der jeweilige Institution erlaubt. Das Beispiel der Literaturfakultät der Universität Havanna mag den Wandel veranschaulichen: Als eine Studentin im Literaturverzeichnis ihrer Diplomarbeit auch Internetquellen aufführte, wurde die Arbeit wurde erst nach langen Diskussionen und nach Rücksprache mit den höheren Ebenen angenommen. Inzwischen ist in der gleichen Fakultät ein Saal mit rund 20 Computern mit Internetzugang eingerichtet, die Aufsichtsperson liest gelangweilt ein Buch, und das Aufrufen von Seiten wie El País oder CNN sorgt nicht für Aufsehen.

Unausgesprochen steht aber fest, dass Websites oppositioneller Gruppen oder dissidenter Journalisten auf ausländischen Servern die Grenze des Geduldeten überschreiten. Es bedürfte einiger Courage, etwa einen Kuba-Bericht von amnesty international am Bildschirm zu lesen (ganz zu schweigen davon, ihn auszudrucken).

„Das Internet wird Castro stürzen!“, hatte Hans-Olaf Henkel, ehemaliger BDI-Vorsitzender und einst Chef von IBM Deutschland, nach seinem Besuch auf der Insel prophezeit. Danach sieht es nicht aus. Zwar scheinen in dem Maße, in dem die Informationsvielfalt des Internet praktisch erfahrbar wird, auch die Begrenzungen auf der Insel drückender empfunden zu werden. Die Selbstzensur wird spürbarer – und das staatliche Informationsmonopol wird in der Tat löchriger.

Aber die gegenwärtige Strategie einer schrittweisen Ausweitung unter Beibehaltung der staatlichen Kontrolle hat Erfolg. Die Oppositionellen und Dissidenten auf der Insel erreichen via Internet zwar die internationale Öffentlichkeit, aber kaum die nationale. Und einer umfassenden Nutzung der neuen Technik legen die politischen Kontrollbedürfnisse des Staates immer wieder Fesseln an. Im vergangenen Jahr hatte das Ministerium für Informatik und Kommunikation offiziell angekündigt, im Gebäude des Ministeriums das erste Internetcafé für Kubaner einzurichten; noch gar nicht eröffnet, wurde es wieder geschlossen – ohne Erklärung.

berthoff@zedat.fu-berlin.de