„Der soll da unten bleiben“

Edmund Stoiber will an die Macht. Und was noch schlimmer ist: nach Berlin. Die preußischen Hauptstädter reagieren verhalten. Ein Currywurstverkäufer droht gar mit Auswanderung

von THILO KUNZEMANN

Wenn man die Kondensstreifen als Wolken durchgehen lässt, muss man feststellen: Der Himmel über dem Bayerischen Platz in Schönberg ist weißblau. Jeder Münchner würde sich diesen Satz auf der Zunge zergehen lassen, die Berliner hier im Bayerischen Viertel reagieren eher unwirsch. Als „scheißkalt“ bezeichnet der 77-jährige Rentner Gerhard Dietrich das bajuwarische Königswetter. Aber er bleibt kompromissbereit. „Ein Bayer als Kanzler? Das ist allemal besser als ein schwuler Bürgermeister und ein ehemaliger Stasimitarbeiter als Vize.“ Das klingt nicht nach tolerantem Fan der Weltstadt mit Herz. „Die CSU ist doch die einzige deutschfreundliche Partei! Gleiche Rechte für alle! Die Russlanddeutschen kaufen sich einen Schäferhund und kriegen deshalb mehr Rente als ich!“ Wie ein Mahnmal steht er vor dem mit Vogelkacke bekleckerten bayrischen Löwen und ruft noch etwas von Schill oder Schily.

Wesentlich freundlicher ist die Stimmung ums Eck in Hübners Blumenladen. Es ist warm, die Blumen duften. Fleischermeister Bachhuber von nebenan hat leider geschlossen, aber Hübner klingt bayrisch genug für etwas friedlichen Lokalpatriotismus. Fehlanzeige: „Niemals. Den Stoiber kann ich mir niemals vorstellen.“ Susanne Friesch stemmt die Arme in die Hüften und übertönt alle Anwesenden. Die 23-jährige Auszubildende lebt seit Jahren in Kreuzberg, passt allerdings in kein Klischee. Ziemlich normal sieht sie aus, und gegen Bayern hat sie auch nichts. Aber Stoiber, nee. Sie hätte ja noch nicht einmal die Merkel gewählt. „Und meine Freunde auch nicht!“

Wird die Kanzlerfrage in Berlin zum Generationskonflikt? „Ach hören Se mal zu“, sagt Ilse Martin versöhnlich. „Wir haben ja keine Vorurteile gegen die Bayern, aber der soll mal da unten bleiben.“ Die 82-Jährige besucht einmal im Jahr Freunde in Bayern. „Schön ist es da.“ Aber Politiker seien doch alle gleich. „Am Anfang schwingen die große Reden. Dann sagen se nischt mehr.“

Rolf Arold will schon am Anfang „nischt“ zur Stoiber-Frage sagen. „Das geht mich alles nischt an.“ Der 21-Jährige wohnt im Osten der Stadt. Er arbeitet für den City-Wachdienst und steht frierend vor dem Forum Hotel am Alexanderplatz. „Ist doch egal, wen man wählt.“ Und wenn Stoiber Kanzler würde und Berliner sicherer und die Polizei besser? Wäre das nichts? „Na ja. Weniger Kriminalität wäre schön. Andererseits, ist dann mein Arbeitsplatz noch sicher? Nee, nee.“

Nun gut. Noch reagieren die Berliner verhalten auf Edmund Stoiber. Aber bayrische Schmankerl, die gehen doch immer? „Weißwürste?“, fragt Jürgen B. irritiert und guckt hilfesuchend auf seine im Fett brutzelnden Pommes. „Nee, ick glaube, die hatten wir mal – der Chef kommt ja aus Bayern –, aber der Berliner will so was ja nicht.“ Seit drei Jahren steht der 49-Jährige am Alex und verkauft Thüringer Rostbratwürste oder Currywurst rotweiß. „Wenn die jetzt plötzlich Weißwürste wollen – von mir aus. Aber wenn der Stoiber kommt, wander ick aus.“ Der kümmere sich ja mehr um sein Bayern als um den Rest des Landes, raunzt Jürgen quer über den Grill. Dabei sei die CDU ja eigentlich seine Partei und die Frau Merkel, hach, die hätte es machen sollen, die wäre bestimmt Kanzlerin geworden.

Wenn es nach Andreas F. ginge, dann würde „es“ keiner machen. „Aber in dieser Schweinestadt könnte ich mir alles vorstellen. Und der Stoiber ist noch der Nationalste von allen.“ National zuerst, sagt der 40-jährige Taxifahrer, aber ansonsten sei er stramm links und wähle PDS. Und sowieso, die Bayern. Er sei mal in Nürnberg gewesen: „Alles Langweiler.“

„Wölfe im Schafspelz sind das“, schimpft hingegen Johanna Petzold. Die 56-Jährige verkauft Spielzeug aus dem Erzgebirge am Hackeschen Markt. Christlich sei sie ja selber, aber dem Stoiber und seiner „Machoriege da unten“ nehme sie das nicht ab. „Die CSU wollte doch den Länderfinanzausgleich stoppen. Denen geht es nur um ihre Macht.“ Außerdem, sagt sie trotzig, seien „Katholen“ alle neurotisch. Der Stoiber, da ist sie sicher, werde nie Kanzler.