Töten, ohne Blut

Mohammad Ali war Sex pur. Er war nicht der König der Herzen, sondern des Unterleibs

von ADRIENNE WOLTERSDORF

Er hat die Brigitte-Bardot-Lippen des Sports. Dieser sinnliche Mund, der immer leicht geöffnet war. Das weiche Epizentrum der erbarmungslosen Schläge, die der Boxerkörper in seiner Peripherie austeilen wird. Ein furioses Tempo von Fäusten, Füßen und Verstand. Nach dem Kampf die glänzende schwarze Haut, auf der der Schweiß des Siegers perlt. Der perfekte Oberkörper, die samtene Landschaft von Sehnen und Muskeln. Das Gummiband der Satinshorts, auf dem ein gesticktes „Everlast“ lockt.

Wenige Männer hat die Weltöffentlichkeit über Jahrzehnte so nackt erlebt wie den Gottkönig des Boxsports Mohammad Ali. Dabei gab es kein Sattsehen an seiner Blöße, denn was er mit seinem Körper tat, war ein immerwährendes Versprechen von Sieg. Wenn jemand den Boxsport in die Einbauschrank-Welt von Sachbearbeitern und Kindergärtnerinnen geholt hat, und sei es nur für die Dauer eines Kampfes, dann war es Ali.

Der schwarze Champion brachte das Animalische zurück in die Welt. Anders als heute etwa Mike Tyson, die brutale K.-o.-Maschine, war Ali niemals nur Bluthund im Ring. Der dreifache Weltmeister verwandelte Schläge in Eleganz. Demütigungen in Spektakel. Promiskuität in Selbstverwirklichung und sich selbst in einen Mythos.

Auch intellektuelle Frauen und Männer waren betört von dem Mann, der nur mit Mühe lesen und schreiben konnte. Die Schriftstellerin und spätere Literatur-Nobelpreisträgerin Toni Morrison war beeindruckt von seinem Charisma. „Ali war ein schöner Krieger“ schrieb sie.

Cassius, das schwarze Mittelstandskid, war auch Rebell. Einer, der nicht nur gegen Männer antrat, sondern auch gegen das weiße Establishment, gegen den Krieg in Vietnam und das Christentum im Allgemeinen.

Das Rebellische, das Andere zeigte sich auch in seinem Kampfstil: Immer sah es so aus, als ginge er irre Risiken ein, als wüßte er nicht, was er tat. Stets hingen seine Fäuste zu niedrig, waren seine Beleidigungen der Gegner („Steh auf, du Versager!“) eine unverschämte Nummer zu zu groß, sein Egotrip („I’m the greatest“) eine Spur zu unerträglich, um ihm nicht auch ordentlich eins auf die Schnauze zu wünschen. Doch sein schwarzer Zorn war die Projektionsfläche für weißen Neid.

Der Schwergewichtler wusste ziemlich gut, was er tat, und blieb sich treu. Mit seiner Weigerung, in den Vietnamkrieg zu ziehen, verkörperte er schließlich sogar die Paarung mentaler Stärke mit eisenharten Schlägen. Eine Mischung, die seine erotische Anziehungskraft bis in New Yorker Redaktionsstuben von Hochglanzgazetten katapultierte. So schwärmte Modezarin Gloria Guinness von Harper’s Bazar von Alis betörender sexueller Präsenz: „Ich wäre für ihn einfach gestorben“.

Mohammad Ali war Pop, war Sex pur. Bei seinem legendären Sieg 1974 in Kinshasa über George Foreman wurde sein Kampfmotto endgültig zur erotisch aufgeladenen Siegerlyrik: „Float like a butterfly, sting like a bee“.

Ali war jemand, der Wagemut mit Können verquickte, der nicht wie viele seiner Gegner zwischen Größenwahn und Minderwertigkeit oszillierte, sondern konsequent von seiner Genialität überzeugt war. Mit ihm roch Schweiß nach Überlegenheit.

Dass die Welt ihn verehrte, dazu bedurfte Cassius Clay nicht einmal der Aura des Elends. Keine Ghettokindheit adelte sein großes, schönes Maul. Mohammad Ali war als Boxer kein König der Herzen, sondern der des Unterleibs. Der Sex des Ring-Champion erwuchs aus seiner Mischung aus Arroganz und Geradlinigkeit. Das Ganze in Bewegung gesetzt von einem Körper, der animalisches Tun mit Poesie versah. Töten, ohne Blut.