Das neue Weltbild

Mitten im Wahlkampf werden die Grünen ihr Grundsatzprogramm verabschieden. Der Entwurf steht

aus Berlin SEVERIN WEILAND

Claudia Roth war zuversichtlich. Die Debatte über strittige Punkte im Grundsatzprogramm ihrer Partei nicht zu Austritten führen, sondern im Gegenteil „identitätsstiftend“ wirken. Und weil die Spitze der Grünen gestern so harmonisch nebeneinander stand, wollten sich die Parteichefs Roth, Fritz Kuhn und Bundesgeschäftsführer Reinhard Bütikofer auch partout nicht darauf festlegen, wie sie es denn mit einem der möglicherweise kontroversesten Details im 92 Seiten umfassenden Entwurf des Grundsatzprogammes „grün 2020“ halten: mit der Frage, ob der Bundestag durch eine Änderung des Grundgesetzes verpflichtet wird, künftig mit einer Zweidrittelmehrheit über Auslandseinsätze zu entscheiden. Oder ob es bei der jetzigen Regelung bleibt, wonach eine einfache Mehrheit ausreicht.

Dass der gestern vorgestellte Entwurf mit dieser Alternative aufwartet, hat vor allem taktische Gründe: Man wolle sich von den Delegierten auf dem Bundesparteitag Mitte März „eine Entscheidung abholen“, damit niemand sagen könne, da sei eine Festlegung von „ein paar Strategen in Hinterzimmern“ getroffen worden, erläuterte Bütikofer.

Die Grünen haben es ohnehin schwer. Als einzige Partei führen sie mitten im Wahlkampf eine Programmdebatte. Ein Wahlprogramm soll zusätzlich aufgelegt werden. Man habe, so Kuhn, keine weitere Zeitverzögerung gewünscht. Eigentlich sollte der Programmentwurf schon verabschiedet sein – doch dann kam der 11. September, und der Rostocker Parteitag im November widmete sich ausschließlich dem Bundeswehreinsatz in Afghanistan.

Im Sommer war der erste Entwurf in der Partei scharf kritisiert worden. Der Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit hatte nach den Protesten von Genua die mangelnde Zuwendung zur Globalisierungsfrage moniert, zudem hatte die Frauen eine stärkere Betonung der Geschlechterfrage verlangt (siehe Kasten). Die Globalisierung wird nunmehr als „Herausforderung zur Geststaltung einer nachhaltigen, freiheitlichen, demokratischen und solidarischen Welt“ begriffen, die man „positiv gestalten“ will. Die Geschlechterfrage, so Roth, durchziehe nunmehr alle Kapitel. Auch wenn die Außenpolitik den größten Raum einnimmt, so fächern die Grünen doch einen breiten Katalog auf, der ihre Wandlung seit 1980, als das erste, noch gültige Programm geschrieben wurde, unterstreichen soll.

Grundlage des neuen Selbstverständnisse sind vier Werte: „Ökologie, Selbstbestimmung, erweiterte Gerechtigkeit und lebendige Demokratie“. Beginnend mit der Umweltpolitik werden die Haupthemen beschrieben: ökologisches Zeitalter, ökologische und soziale Marktwirtschaft, emanzipative Sozialpolitik, Wissensgesellschaft, Erneuerung der Demokratie, geschlechtergerechte Gesellschaft sowie Europa-und Außenpolitik.

Zusätzlich hat sich Bundesvorstand und Programmkommission in fast zweijähriger, zum Teil kontroverser Debatte, auf zwölf so genannte Schlüsselprojekte verständigt. So wollen die Grünen unter anderem die Sozial- und Arbeitslosenhilfe zur steuerfinanzierten Grundsicherung zusammenlegen. Langfristig setzt man auch auf eine Bürgerversicherung für Krankheit, Rente und Pflege.

Besonderes Gewicht legte Roth gestern auf die Familienpolitik. Hier werde man die Unterschiede zu Stoibers konservativen Weltbild deutlich machen. Das werde „richtig spannend“.