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: Von Meistern und Dilettanten in der Malerei

Ein rauschvolles Sonnenverbluten

Angesichts abstrakter Kunst zeugt die Bemerkung, das könne doch jedes Kind, in der Regel von Ignoranz und Banausentum. Andererseits versteckt sich hinter den Freiheiten, die sich unterm Deckmantel eines wie auch immer erweiterten Kunstbegriffs manche Künstler zu nehmen pflegen, nicht selten blanker Dilettantismus.

Denn echte Abstraktionen setzen ja viel mehr die Fähigkeit exakter Wirklichkeitsbewältigung voraus, weil Abstraktionen bewusste Überwindungen von Realitätsfülle durch Begriffe beziehungsweise in der Malerei durch reduzierte Formen sind. In seiner Essaysammlung „Der letzte Zeichner“ zieht Robert Gernhardt, als Zeichner, Maler und Schriftsteller in dieser Sache gleichermaßen kompetent, gegen jene Scharlatane in der bildenden Kunst zu Felde, die ihre zeichnerische Unfähigkeit durch expressive Wildheit oder aberwitziges Theoretisieren kaschieren. Gernhardts Plädoyer für die handwerkliche Kompetenz, man könnte auch sagen: realistische Rechtschaffenheit in der Malerei, kommt aber nicht als kunsthistorische Abhandlung daher, sondern in Form eines Dialogs zwischen einem alten Zeichner und seinem Schüler.

Ein über jeden handwerklichen Zweifel erhabener Zeichner war Max Liebermann, der mit Bildern aus der Arbeitswelt im realistischen und naturalistischen Stil begann, um sich um die Jahrhundertwende immer stärker einem sehr eigenständigen Impressionismus zuzuwenden. Dietrich Gronaus aufschlussreiche Biografie macht deutlich, dass Liebermanns Einsatz für „die Phantasie in der Malerei“ auf dem festen Boden zeichnerischer Virtuosität stand und mit gut gemeinter Empfindungsseligkeit nichts am Hut hatte.

Von Liebermanns frühen Bildern hatte auch Vincent van Gogh durch seinen Bruder gehört, und er witterte eine Verwandtschaft zum eigenen Werk, weil er in seinen Bildern „etwas Festes, etwas Systematisches haben wollte“. Van Gogh war allerdings eine der ganz großen Ausnahmen von der Regel, dass zeichnerische Perfektion die Basis aller großen Malerei sein müsse. In Irving Stones ziemlich melodramatischem, aber genau recherchiertem biografischem Roman „Vincent van Gogh. Ein Leben in Leidenschaft“ wird dieser Widerspruch nachdrücklich beschrieben: „Anatomisch betrachtet waren die Bilder falsch, die Proportionen waren grotesk verzeichnet. Und dennoch: Was da vor ihm lag, das waren die Leute aus der Borinage. Niemand hätte sie für etwas anderes halten können.“

„Das Kunstwerk ist wohl in der Idee und in der Materie an die Natur gebunden, aber es ist keine Nachahmung der Natur“, sondern setzt diese lediglich voraus. „Im Gegenteil würde oft manches, was in der Natur schön ist, im Kunstwerk nicht denselben Eindruck machen. Auch der Laie fühlt das, wenn er beispielsweise bei einem rauschvollen Sonnenverbluten sagt: ‚Wenn man das nun so malte, würde es niemand glauben‘.“ Diese Bemerkungen, denen mit Ausnahme des „rauschvollen Sonnenverblutens“ wohl auch Robert Gernhardt zustimmen dürfte, stammen von Erich Maria Remarque, von dem jetzt Erzählungen und Skizzen, aber auch bislang weitgehend unbekannte Essays erschienen sind, in denen er sich auch mit der Kunst der Zwanzigerjahre auseinander setzt.

Geheimnisvolle Gemälde werden auch immer noch und immer wieder gern als Sujets von Kriminalromanen genommen, so zum Beispiel in Barbara Büchners „Liebhaber des Todes“. Im Mittelpunkt steht ein unheimliches Bild, das nur im Dunkeln seine mit Blut gemalte Dämonenfratze erkennen lässt. Die Mischung aus Krimi, fantastischen Elementen und Schauerromantik ergibt eine sehr solide gemachte Kolportage – auch so etwas hat seine Berechtigung, wie Remarque, der selbst ein begnadeter Kolporteur war, in einer Glosse über „Kitsch“ anmerkte: „Es gibt keine objektiven Wertgrade. Wer will behaupten, dass sein Gefühl vor der Büste Nophretetes besser sei als das einer Waschfrau vor dem Öldruck einer Mondscheinlandschaft mit Windmühle?“ KLAUS MODICK

Robert Gernhardt: „Der letzte Zeichner“. Fischer TB, 344 Seiten, 9,90 €ĽDietrich Gronau: „Max Liebermann“. Fischer TB, 414 Seiten. 12,90 €ĽIrving Stone: „Vincent van Gogh“. rororo, 332 Seiten, 8,50 €ĽErich Maria Remarque: „Herbstfahrt eines Phantasten“. KiWi, 317 Seiten, 9,90 €ĽBarbara Büchner: „Liebhaber des Todes“. Heyne TB, 381 Seiten, 7,95 €