Tennis statt Kritik

Russlands letzter unabhängiger Fernsehsender TW 6 wurde gestern abgeschaltet. Den Saft abgedreht hat offenbar Präsident Wladimir Putin

aus Moskau ZITA AFFENTRANGER

Ein schwarzer Bildschirm würde Bände sprechen. Deshalb ließ das russische Presseministerium flugs einen Sportkanal aufschalten. Nachdem der unabhängige Fernsehsender TW 6 um Mitternacht abgeschaltet worden war, konnte man am Dienstag den ganzen Tag Tennis gucken.

Im Sommer hatte der Ölkonzern Lukoil, der mit 15 Prozent an dem Sender beteiligt ist, TW 6 auf Grund eines veralteten Gesetzes verklagt, das von einem Unternehmen ausgeglichene Finanzen verlangt. Nach mehrmaligem hin und her bekam Lukoil letzte Woche letztinstanzlich Recht. Das Gericht verordnete die Schließung von TW6.

Kaum war das Urteil gesprochen, verkündete der Chefredakteur von TW 6, Jewgeni Kiselew, man werde sich im April wieder um die alte Sendelizenz bewerben. Bis dahin bitte man das Presseministerium, den Kanal auf Sendung zu lassen. Das stieß im Kreml überraschend auf offene Ohren. Presseminister Michail Lesin fand für das Team nur lobende Worte und bezeichnete die Chancen auf eine Sendelizenz als „sehr gut“. Selbst Präsident Wladimir Putin erklärte, es wäre eine gute Sache, TW 6 in die Hände der Journalisten zu geben, die er persönlich sehr schätze.

Außen vor blieb bei dem Deal der Besitzer des Senders, Finanzmogul Boris Beresowski, der zur Amtszeit Boris Jelzins im Kreml die Fäden gezogen hat, beim neuen Präsidenten jedoch in Ungnade fiel. Wütend tönte es aus Beresowskis selbst gewähltem Exil, das Management von TV 6 habe nicht die Kompetenz für eine solche Abmachung. Kiselew wurde nach London zitiert.

Nach der Rückkehr sagte er, man habe einen Fehler gemacht. Das Team sei vom Kreml unter Druck gesetzt worden, sich von Beresowski loszusagen. Zudem sei verlangt worden, dass auch Kreml-Gefolgsleute in das Unternehmen aufgenommen würden. Schließlich wurde dem Presseministerium am Montag mitgeteilt, Kiselew habe nicht die Vollmacht für Verhandlungen gehabt. Danach nahm der Kreml den Sender vom Netz.

Die Rolle des Kreml

Putin wäscht seine Hände in Unschuld: Der Streit um TW 6 sei rein wirtschaftlicher Natur, ihn zu entscheiden Sache der Gerichte. Kaum jemand hegt jedoch Zweifel daran, dass der Kreml hinter der Kampagne steckt, dem der Sender schon lange ein Dorn im Auge war.

Beresowski, der sich inzwischen vom Strippenzieher zum großen Demokraten geläutert haben will, sagt offen, dass TW6 für ihn aus politischen und nicht aus wirtschaftlichen Gründen wichtig sei. Ziel seiner Kampagnen ist Präsident Putin, mit dem ihn inzwischen offenbar eine tiefe Feindschaft verbindet. Beresowski droht, Material zu veröffentlichen, das belegen soll, dass der russische Geheimdienst und nicht tschetschenische Rebellen 1999 Wohnhäuser in die Luft gesprengt habe. Bei den Anschlägen in Moskau und Wolgodonsk, waren über 300 Menschen ums Leben gekommen. Der Kreml fürchte, dass die Menschen die Wahrheit zu hören bekämen, sagt Beresowski und warnt vor einem neuen Stalinismus.

Doch gerade Beresowski ist mit schuld daran, dass es in Russland nie wirklich unabhängige und freie Medien geben hat. Vor allem die nationalen Fernsehstationen, mit denen sich die große Mehrheit der Bevölkerung die Meinung bildet, wurden hart umkämpft. Die neben dem staatlichen Kanal RTR wichtigen Kanäle ORT und NTW waren in der Hand der beiden Medienmogule Beresowski und Gusinski. Diese machten ihre eigene Politik oder ließen sich vom Kreml für eine freundliche Berichterstattung mit Pfründen belohnen.

Doch immerhin waren die Fernsehsender damals auf drei verschiedene Hände verteilt. Nun ist der Kreml wieder Monopolist. Die drei nationalen TV-Sender machen keineswegs nur Hofberichterstattung, und nicht nur TW 6 hatte kritische Berichte gewagt. Doch mit seinem Zugriff auf die großen Fernsehstationen kann der Kreml im Bedarfsfall die Reihen sofort schließen. Das dürfte spätestens im nächsten Wahlkampf so weit sein.