Die Schönheitskönigin von Tunis

Mit ihrem Lieblingskollegen Belmondo bewarf sie einmal Jetsetpartygäste mit Couscousbällchen. Claudia Cardinale, die mit der rauen Stimme, mochte es früher lustig bei den Dreharbeiten. Heute erhält sie den Goldenen Berliner Ehrenbären

In Frankreich kürte man sie zur „faszinierendsten Oma“.

von MARINA COLLACI

Ihre Karriere begann ganz so wie die anderer schöner und wohlgebauter Mädchen, die es in den Fünfzigerjahren zum Film zog. 1957 gewann die Tochter sizilianischer Einwanderer in Tunis einen Schönheitswettbewerb. Der Preis: eine Reise zu den Filmfestspielen in Venedig. Doch ihr Entschluss, es beim Film zu versuchen, hing auch mit einer Wendung ihres Privatlebens zusammen: Gerade 20 Jahre alt, hatte Claudia Cardinale ein uneheliches Kind geboren. Um Klatsch und Tratsch zu entfliehen, zog sie nach Rom, suchte die Anonymität der Großstadt. Rom, das war Cinecittà, das war die renommierte Filmhochschule, an der Claudia Cardinale einen Schauspielkurs belegte.

Doch den Kurs brach sie bald ab; sie selbst war der Meinung, ihre Stimme, ihr französischer Akzent verbaue ihr jede Karriere. Aber dann erschien ihr Foto in der Zeitung – und schon hatte sie ihre erste Filmrolle; Mario Monicelli gab ihr einen kleinen Part bei „I soliti ignoti“. Ihren Durchbruch erlebte Claudia Cardinale mit dem Meisterregisseur Luchino Visconti, mit dem sie 1960 „Rocco und seine Brüder“ drehte. Visconti engagierte sie darauf für den „Leoparden“, als Filmpartnerin von Alain Delon und Burt Lancaster.

Visconti sprach nur französisch mit ihr und nannte sie „meine Claudine“. Eigentlich hatte der Regisseur bei den Schauspielern einen furchtbaren Ruf, galt als schwierig, als jähzornig. Doch Claudia Cardinale eroberte sofort seine Sympathie. Als einmal beim Drehen einer gewalttätigen Szene zwischen den Akteuren tatsächlich die Fäuste flogen, da brüllte er ins Megaphon: „Bringt mir bloß nicht meine Claudine um.“

Vormittags drehte die Cardinale mit Visconti, und nachmittags eilte sie zu Fellini, zu den Aufnahmen von „Achteinhalb“. Beide waren Meister, beide ein wenig verrückt, und sie pflegten Arbeitstile, die gegensätzlicher nicht hätten sein können. Der eine, Visconti, ein Pedant, der wahre Wutanfälle bekam, wann immer ein Schauspieler auch nur um ein Komma vom Drehbuch abwich, der andere, Fellini, ein Improvisateur, der oft gleich ohne Drehbuch zu den Aufnahmen erschien. Und dazwischen Claudia Cardinale. „Wenn ich am Drehort ankam, war immer alles schon bereit, die Beleuchtung und so weiter“, erzählte die Cardinale in einem Interview, „aber wir Schauspieler wussten schier gar nichts. Federico sagte dann einfach, mach dir keine Sorgen, er nahm einen Fetzen Papier, borgte sich bei irgendjemandem einen Stift und kritzelte ein paar Zeilen. Die gab er mir, ich verstand natürlich gar nichts von dem Geschreibsel, und er ließ mich’s auch gar nicht lesen, er riss mir den Zettel sofort wieder aus der Hand.“

„Achteinhalb“ war Claudia Cardinales erster Film, in dem der Regisseur ihr die eigene Stimme ließ. Und was für eine Stimme: Rau, warm, klangvoll, erotisch. Heute vermag man es kaum zu glauben: Ebendiese Stimme stieß auf Kritik bei den Regisseuren, wurde in den ersten Filmen der Cardinale regelmäßig synchronisiert. Vier bis fünf Filme drehte die junge Schauspielerin nun pro Jahr, zunächst für ein Festgehalt von ihrer Agentur, das gerade mal bei 3.000 Mark im Monat lag. Eine lange Liste von Erfolgen: „Sandra“, wieder mit Visconti, der Western „Die gefürchteten Vier“, der „Rosarote Panther“, „Bell’Antonio“, das „Rote Zelt“, gedreht in Russland bei minus 30 Grad, und „Spiel mir das Lied vom Tod“.

Unter all den Großen des amerikanischen und des italienischen Films aber blieb ihr Lieblingsregisseur der international weniger bekannte Mauro Bolognini. Mit ihm dreht sie ihren Lieblingsfilm, die „Viaccia“: „Ein perfekter Film, wie soll ich das beschreiben, es sind die Bilder, die zählen! Für Bolognini war ich immer die Verkörperung der Verdammnis, in ‚Senilità‘ genauso wie in ‚Bell’Antonio‘ und natürlich in ‚Viaccia‘. Die Rolle war mir auf den Leib geschnitten, ich stellte genau das dar, was Mauro von mir erwartete.“

Und ihr Lieblingskollege war Jean Paul Belmondo; ihm gegenüber allerdings war es aus mit der Verkörperung der Verdammnis. „Belmondo war wie ich, er hatte den gleichen Charakter, die gleiche Abenteuerlust, den gleichen Spaß daran, zu lachen und zu scherzen. Wir stellten schreckliche Dinge an bei den Dreharbeiten. Einmal an der Cote d‘Azur haben wir ein Hotel auseinandergenommen, aus purem Jux, Jean Paul war ein total verrückter Typ. Als ‚Cartouche‘ uraufgeführt wurde, war der ganze französische Jetset da, Françoise Sagan und all die anderen großen Namen. Mir zu Ehren wurde eine Couscousparty ausgerichtet, da ich ja in Tunesien geboren war. Und ich fand mich plötzlich mit Jean Paul unterm Tisch, wir formten kleine Bällchen aus dem Couscous und bewarfen die Gäste damit.“

So viel Spaß Claudia Cardinale an den kleinen Verrücktheiten fand – ihr Privatleben verlief in für ihren Beruf ungewohnt ruhigen Bahnen. 1966 heiratete sie den Filmproduzenten Franco Cristaldi, von dem sie sich 1975 trennte. Seitdem lebt sie mit dem Regisseur Pasquale Squitieri zusammen; mit ihm hat sie auch eine Tochter. An Squitieris Seite entdeckte die Cardinale ihre Fähigkeit, schwierige, anspruchsvolle Rollen zu spielen.

Sie arbeitete mit Werner Herzog in „Fitzcarraldo“, und mit Liliana Cavani in „Die Haut“.

Neues anpacken, das ist Claudia Cardinales Rezept, heute genauso wie vor vierzig Jahren. Dass Hollywood sich nicht mehr meldet, kann sie nicht verdrießen. Ganz selbstverständlich übernahm sie 1999 die Hauptrolle in „Sous les pieds de femmes“, dem Debütwerk der algerischen Regisseurin Rashida Krim. Darin spielt sie eine Immigrantin, die es aus Algerien nach Frankreich verschlägt.

Neben dem Goldenen Löwen (1993) und dem Goldenen Bären gewinnt Cardinale auch andere Preise: In Frankreich wählten sie kürzlich 48 Prozent der Befragten zur „faszinierendsten Oma“. Darüber war die Cardinale allerdings nicht besonders erbaut: Macché nonna – sono donna“, „von wegen Oma – ich bin Frau“ gab sie zurück und fügte hinzu, „auf die Passion der Liebe, auf die Attraktion der Liebe, um deutlicher zu werden“, verzichte sie keineswegs.