das kostümierte leben von KARL WEGMANN
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Es ist Montagmittag, und es ist schlimm – viel schlimmer als an einem normalen Montag. Draußen tobt das kostümierte Leben, die Deppendichte nimmt bedrohliche Ausmaße an, wir haben uns eingegraben. Frauen und Kinder sind schon seit Stunden weg, um sich in Regen und Sturm einen Stehplatz an der Straße zu sichern, damit sie die Pappe- und Sperrholzgebirge auch richtig gut sehen können. Wir wollen nix und niemanden sehen.

Willy hat etwas Düsteres von Nine Inch Nails aufgelegt, wegen der Stimmung, sagt er. Hermann schaut auf die Uhr: „Jetzt ist es exakt 12.11 Uhr“, gibt er bekannt, „jetzt geht der Zug los.“ Allgemeines Gebrumme. „Sehen wir es positiv“, sagt Bernd, „heute ist der letzte Tag, in ein paar Stunden liegen die Pappnasen im Koma, und die Sache ist gegessen.“ Wir sind ziemlich fertig. Schon seit einer Woche kann man in keine Kneipe, in kein Restaurant mehr gehen, ohne von selbst ernannten, grell maskierten Narren belästigt zu werden. „Wir hätten den Amis einen Tip geben sollen“, überlegt Koncho, „die hätten hier lohnende Ziele im Anti- Terror-Kampf gefunden.“ – „Genau“, sage ich, „Flächenbombardements wären wirklich hilfreich gewesen. Und den Rest dann ab nach Kuba, das hätte etwas Farbe in den Krieg gebracht.“ – „Obwohl die Bier produzierenden Länder wahrscheinlich eine scharfe Protestnote bei der UNO eingereicht hätten“, meint Bernd. „Apropos“, sagt Hermann, „wenn alle saufen, können wir doch auch …“ Niemand widerspricht und so gehen die ersten Krombacher den Weg, den jedes gute Bier gehen muss.

Wir versuchen uns abzulenken, finden heitere Themen wie den Niedergang Bayerns. Konscho erzählt, wie er seinen Hund darauf abgerichtet hat, Menschen in Uniform respektlos auszubellen, aber mit „diesen bunten Kostümen hat der Köter echt Schwierigkeiten“. Der erste Kasten ist bald Geschichte, und dann sagt Hermann: „Früher, so mit 16, 17, fand ich Karneval noch ganz gut. Man konnte tagelang durchmachen und jede Menge Frauen abschleppen.“ – „Besoffene Frauen“, kommentiert Bernd. „Genau“, sagt Hermann, „aber darum geht’s doch: Alkohol und Sex. Triebabfuhr! Spießerglück! Du hast mit einer rumgemacht und am nächsten Tag wusste sie nicht mehr, wer du bist, und du hattest auch keine Ahnung und bist mit der nächsten losgezogen. War völlig in Odnung so. Das nennen sie die ‚Tollen Tage‘.“ – „Also unter dem Gesichtspunkt …“, fängt Konscho an, wird aber von Willy gestoppt: „Leute, Leute, ihr solltet endlich mal euer Frauenbild aufpolieren. Alice Schwarzer hat erst kürzlich gesagt: Frauen sind keine Mysterien, sondern Menschen!“ – „Nur Menschen?“, staunt Hermann, „das kann nicht sein.“ Dann haben wir eine hitzige Frauendiskussion. Die wird aber bald abgelöst von alten Karnevalserinnerungen. So unter dem Motto: „Wisst ihr noch, wie blöd das war?“ Willy legt Siebzigerjahre-Rock auf, und wir kommen richtig in Stimmung. Und als die Frauen und Kinder völlig durchnässt zurückkommen, werden sie mit einem tosenden „Helau!“ begrüßt – aber die haben einfach keinen Spaß an der Freude.