Der Nutznießer

Mitwisser im Vatikan: Costa-Gavras verfilmte mit „Amen“ (Wettbewerb) Rolf Hochhuths „Stellvertreter“

Der Polemik seines Filmplakats will Costa-Gavras neuer Film „Der Stellvertreter“ nicht ganz folgen. Das Plakat, das in den letzten Tagen wie ein obszönes Graffito die konsumfreundliche Ikonografie am Potsdamer Platz störte, zeigt ein Jesuskreuz in unheiliger Vereinigung mit einem Hakenkreuz, dezent in Rot auf Schwarz gehalten: einen teuflischen Hybriden.

In seiner offensiven Deutlichkeit wird das Logo dem Film Costa-Gavras aber sogar gerechter, als dessen Vorlage, das gleichnamige Theaterstück von Rolf Hochhuth aus dem Jahr 1963, vermuten lassen konnte. Hochhuths „Stellvertreter“ gilt immer noch als eines der wichtigsten Theaterstücke der postfaschistischen Bundesrepublik, vielleicht auch, weil es der Nachkriegsgeneration implizit ein wenig Absolution in Aussicht stellte.

Hochhuth thematisierte in seinem Stück erstmals die Mitschuld der katholischen Kirche an der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik und benannte dessen höchsten Stellvertreter Papst Pius XII. ausdrücklich als Nutznießer der vatikanischen „Appeasement Policy“.

Hierzu bediente er sich eines sehr didaktischen Geflechts aus Historie und Fiktion: der Geschichte des Leiters des Instituts für Rassenhygiene der SS, Kurt Gerstein, und der fiktiven Figur des Jesuiten Ricardo. Als verantwortlicher Offizier fur die Zyklon-B-Versorgung bekam der überzeugte Protestant Gerstein Anfang der Vierzigerjahre genaue Einsicht in die Vernichtungspolitik der Nazis und versuchte, sowohl die Mechanismen des Apparats von innen heraus zu sabotieren, als auch den Vatikan über die Konzentrationslager zu informieren. Ricardo ist in Hochhuths Adaption Gersteins Kontakt zum Vatikan, aber Gersteins Versuche bleiben vergeblich. 1945 wird er erhängt in seiner Zelle im Pariser Militärgefängnis Cherche-Midi gefunden. Erst zwanzig Jahre später wird er rehabilitiert.

Das Problem an Hochhuths Vorlage scheint Costa-Gavras wohl bewusst gewesen zu sein. Wohl wissend, dass Schematisierungen in solch komplexen zeitgeschichtlichen Zusammenhängen unvermeidlich sind, hat er versucht, die Schuld einzelner Repräsentanten zu differenzieren.

Bei Costa-Gavras wird der Vatikan zu einem totalitären System, das sich auf dem Höhepunkt seiner politischen Macht wie ein Nationalstaat geriert. Antisemitismus und Korruption konstituieren die Machtverhältnisse. Costa-Gavras hat hier einige exemplarische Gesprächssituationen eingefügt. Die Erkenntnis, dass der Vatikan der vielleicht effizienteste Geheimdienst der Welt ist, macht die Frage nach einer Schuld obsolet. Er ist vielmehr selbst zum Teil des politischen Problems geworden.

Eine Deutlichkeit, zu der der Film in der individuellen Schuldfrage nicht findet. Weder hinterfragt er Gersteins Funktion als „seltsamer Heiliger“, als „spektakulärer Widerstandskämpfer“ innerhalb des Systems, noch bereitet er der Mär von der Unwissenheit der deutschen Bevölkerung ein Ende.

Der Film selbst leugnet nicht, dass 1941 in der Bevölkerung bereits Gerüchte über die Vernichtungspolitik der Nazis kursierten, zieht daraus aber keinerlei Konsequenzen für seine Darstellung. Costa-Gavras Plädoyer fur Zivilcourage und persönliche Verantwortung, die Rehabilitierung Gersteins also, muss darum letztlich wieder mit einer sehr deutschen Selbstvergewisserung einhergehen.

Wahrscheinlich hatte der Journalist auf der gestrigen Pressekonferenz Recht, der meinte, dass das (fiktionalisierte) Drama als Form individueller Erfahrung des Holocaust einfach nicht tauge. Die Erzählkonventionen bringen bedenkliche Vereinfachungen mit sich. Der Frager jedenfalls hat Costa-Gavras fürs nächste Mal einen Dokumentarfilm empfohlen. ANDREAS BUSCHE

„Amen“. Regie: Constantin Costa-Gavras. USA 2001, 130 Min.