Alles Stoiber in Biberach

Bayerns Ministerpräsident beherrscht die Rede Joschka Fischers. Umgekehrt gilt das nicht
von JENS KÖNIG

Stoibers langer Schatten ist immer da. Aber Fischer sonnt sich in ihm.

Als Joschka Fischer in Biberach ankommt, ist Edmund Stoiber schon lange da. Irgendwann, der Politische Aschermittwoch der Grünen hatte noch gar nicht begonnen, war Stoiber in der Stadthalle auf die Bühne geklettert, gleich hinter das Rednerpult. Dort steht der bayerische Ministerpräsident jetzt seit Stunden, groß und unsichtbar, und wirft lange, schwarze Schatten auf jeden, der da oben auf der Bühne redet. Selbst Joschka Fischer kann diesem Schatten nicht entkommen.

Der Herr Außenminister – gestern in Istanbul, heute in Biberach, morgen in Tel Aviv – hat das natürlich vorher gewusst. Man darf die Tatsache, dass Fischer für ein paar Stunden in sein altes, schwarzes T-Shirt geschlüpft ist, ruhig als einen versteckten Gruß an Edmund Stoiber verstehen. Es ist eine modische Kampfansage, ganz Ton in Ton gehalten.

„Aus dem Fundi Stoiber wird jetzt ein Realo. Das fällt ihm schwer, weil sein Herz ganz radikal schlägt“, sagt Fischer. „Jetzt redet er Zeug, das keiner versteht, ich nehme an, nicht mal er selbst.“ Der Saal tobt. „Stoiber hat in Passau drei Stunden lang geredet“, legt Fischer nach. „Will er jetzt mit Fidel Castro konkurrieren, oder wie? Hallo, Comandante Stoiber!“

Der Saal jubelt wieder. Heute ist Politischer Aschermittwoch, und da geht’s hier im katholischen, barocken Oberschwaben immer deftig zu. Aber Fischer hat noch lange nicht genug, und er meint es ernst, Aschermittwoch hin, Aschermittwoch her. „Edmund Stoiber ein überzeugter Europäer?“, sagt Fischer. „So viel Bier kann man in Passau gar nicht ausschenken, dass die Leute das glauben.“

Und noch einen. „Stoiber ist jetzt ein Freund der neuen Bundesländer. Da kann ich nur sagen: Wenn Sie im Osten solche Freunde haben, brauchen Sie sich um ihre Feinde keine Sorgen zu machen.“ Stoibers langer, schwarzer Schatten ist immer noch da. Aber Fischer stört er nicht im Geringsten. Er sonnt sich in ihm.

Das trifft nicht nur auf den Herrn Spitzenkandidaten der Grünen zu. Die ganze Partei ist froh, dass Stoiber Kanzlerkandidat der Union geworden ist. Überall, wo jetzt die Grünen auftreten, ist auch der bayerische Ministerpräsident mit dabei. Auf diese Weise versucht die Partei, aus der schwarzen Bedrohung ein grünes Maskottchen zu machen. „Mit Stoiber wissen wir wieder, was wir in der Regierung alles geleistet haben“, sagt der grüne Fraktionschef Rezzo Schlauch.

Acht Prozent plus x geben die Grünen als ihr Ziel für die Bundestagswahl im Herbst an, ganz unbeeindruckt von der jüngsten Umfrage, die die Partei bei nur vier Prozent sieht. Mit Angela Merkel, dass wissen die grünen Führungsleute, wäre dieses ehrgeizige Ziel nie und nimmer zu erreichen gewesen. „Stoiber gibt uns den entscheidenden Kick“, sagt Schlauch. Wenn im Herbst alles gut geht, werden sie dem Bayern die grüne Ehrenmitgliedschaft antragen.

Für die Grünen geht es bei der Bundestagswahl um eine ganz einfache, schlichte Frage, die in Biberach natürlich Joschka Fischer stellt, der grüne Spitzenkandidat: „Werden die anderen es besser machen?“ Selbstverständlich gibt Fischer auch die Antwort: „Sie können es nicht besser, sondern sie werden es schlechter machen.“

Sie – das sind die Konservativen, die schwarzen Finanzchaoten, die potenzielle „Regierung Stoiber/Westerwelle“, wie Parteichef Fritz Kuhn in deutlicher Abgrenzung zur „Regierung Schröder/Fischer“ sagt. Die Grünen deklinieren in Biberach jedes Thema durch, um den Unterschied zwischen Stoiber und Rot-Grün deutlich zu machen. „Ja zur Atomkraft bedeutet: Stoiber wählen. Nein zur Atomkraft heißt: Grüne wählen“, sagt Kuhn. „So einfach ist die Alternative.“ Ökosteuer, neue Landwirtschaft, Europa, Kinderpolitik – überall bedeutet Rot-Grün Morgenröte und Stoiber Untergang.

Wenn man Fischer genau zuhört, wird der grüne Wahlkampf wohl zwei zentrale Themen haben. Einmal den Kampf um den Atomausstieg – da können die Grünen zeigen, dass Stoiber das Rad der Geschichte zurückdrehen will. Zum anderen die Auseinandersetzung um die Kinderpolitik – hier wollen sie beweisen, warum sie in der nächsten Regierung gebraucht werden. „Gerade die kinderfreundliche Gesellschaft ist nichts, was wir Stoiber überlassen dürfen“, sagt Fischer. „Das geht an den Kern unseres Gesellschaftsverständnisses, ja, unseres Menschenbildes.“

Diese grüne Strategie ist schlüssig – und riskant. Sie erinnert in ihrem Trotz ein bisschen an Erich Honecker. Rot-Grün in seinem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf. „Ach“, sagt der Marathonläufer Fischer lässig, „die Bundestagswahlen sind ein Marathonlauf. Der wird nicht auf den ersten fünf Kilometern entschieden und auch nicht durch die Leute, die an der Strecke stehen und jubeln. Gute Vorbereitung ist wichtig und Substanz. Die Entscheidung fällt erst auf den letzten sechs Kilometern.“ Oder durch Gerhard Schröder. Er steht auch an der Strecke. Davon hat in Biberach keiner gesprochen.