„Isch sing fers Finanzamt“

Joy Fleming, am 15. November 1944 als Erna Raad (später verheiratete Strube) im pfälzischen Rockenhausen geboren, wuchs in Mannheim auf. Während ihrer Ausbildung zur Lebensmitteleinzelhandelsverkäuferin Anfang der Sechzigerjahre gewann sie mit Domenico Modugnos Grand-Prix-Titel Ciao, ciao, bambina einen Nachwuchswettbewerb. Die wichtigsten Inspirationen für ihre Stimme holte sie sich in amerikanischen GI-Kneipen: Dort lernte sie, musikalisch die Welt im Sinne des Blues und Jazz wahrzunehmen.

Ein Freund überredete sie daraufhin, als Sängerin bei einer eher erfolglosen Band mitzumachen – aus diesem Kontakt erwuchs die regional erfolgreiche Formation Joy & The Hitkids. Mit ihr nahm sie am „Talentschuppen“ des Südwestfunks teil. Sie avancierte mit Hilfe dieses Forums zum Nachwuchsstar. 1970 wurde sie als Support für ein Janis-Joplin-Konzert in Frankfurt am Main angeheuert – und stach nach Meinung von Kritikern die Hauptperson des Abends mit Stimme und Präsenz locker aus.

Mit dem „Neckarbrückenblues“ wurde sie 1972 berühmt: eine im Mannheimer Dialekt gesungene Klage einer Frau, die von ihrem Mann schon wieder lieblos behandelt wird: Joy Fleming war quasi über Nacht, ausgerufen von Kritikern, die eher auf Hochkultur getrimmt waren, zur Antwort auf das deutsche Schlagerelend geworden.

Zur Mitte jenes Jahrzehnts konnte sie der Arrangeur und Komponist Rainer Pietsch gewinnen, seinen Song beim nationalen Vorentscheid zum Grand Prix Eurovision vorzutragen: Sie gewann mit „Ein Lied kann eine Brücke sein“ die Konkurrenz, belegte aber international in Stockholm nur einen hinteren Rang. Dagens Nyheter, die schwedische FAZ, nannte sie eine „stampfende Brunhilde“. Die gleichen Kritiker, die sie einst lobten, sahen in ihr nun eine prinzipienlose Sängerin, die stilistisch nie bei ihrem Leisten bleibe.

Zumal sie zu den besten Zeiten des sozialkritischen Mainstreams eine Platte herausgab, auf der sie sich über die Steuerpolitik der sozialdemokratischen Bundesregierung beschwerte. „Isch sing fers Finanzamt“ hieß der entsprechende Titel und wurde als Bekenntnis zur CDU verstanden (was sie bis heute bestreitet). In Interviews bekannte sie, das Singen, so schön es sei, lediglich als Beruf zu nehmen – solcher Pragmatismus galt damals als unmöglich.

In der Musikbranche galt sie obendrein als schwierige Figur: zu dick, also nicht im jugendlichen Segment zu vermarkten; zu soulig, mithin nichts für die TV-Familienshow; zu vorlaut, somit nichts für die ZDF-Hitparade. Was half es ihr, dass sie die einzige weiße und deutschsprachige Sängerin war, die es je beim amerikanischen Soullabel Stax probieren durfte? Ihr Song Change The World floppte – gilt dennoch als leuchtendste Visitenkarte ihrer Stimme.

Bis heute hat Joy Fleming keinen weiteren Hit gehabt. Sie kommt über die Runden mit durchschnittlich hundert Konzerten pro Jahr, mit Einsätzen für Werbejingles und für karitative Zwecke. Ihre Acts sind nach wie vor sehr gut besucht – das Publikum mag sie als ewige Hoffnungsträgerin.

Die Fleming lebt im Badischen bei Heidelberg auf einem Bauernhof. Dort wirkt sie, nach eigenem Bekunden, vorwiegend als Hausfrau. JAF