Behörden müssen Horizont erweitern

Nur wenige öffentliche Verwaltungen sind in der Lage, MigrantInnen zu beraten. Schulungen könnten interkulturelle Kompetenzen schaffen

Es ist Jahr für Jahr das Gleiche: Eine Schule mit hohem MigrantInnenanteil lädt zum Elternsprechtag, doch es kommen fast nur deutsche Eltern. Es wird geklagt, aber nicht hinterfragt, wie sinnvoll deutschsprachige Anschreiben sind bei einer Elternschaft mit hohem Analphabetenanteil, die zudem aktive Elternbeteiligung nicht kennt. Zugleich erstellt der Drogenbeauftragte ein deutschsprachiges Faltblatt zur Suchtprävention und verbreitet es über den üblichen Verteiler, der keine Migrantenorganisationen enthält. In einigen Jahren wird er über den gestiegenen Anteil suchtkranker MigrantInnen lamentieren.

Solche Beispiele für fehlende Achtsamkeit, Sensibilität oder gar Inkompetenz in interkulturellen Fragen lassen sich in allen Bereichen der öffentlichen Verwaltung finden. MigrantInnen werden übersehen oder gelten als schwierige Störfaktoren. Symptomatisch ist die räumliche Auslagerung vieler Ausländerbehörden.

Aus dem System der allgemeinen sozialen Dienste (so genannter Regeldienste) hat man ihre Beratung und Betreuung allerdings mit guten Gründen ausgegliedert. Die Einrichtung und Aufrechterhaltung von Sonderdiensten speziell für MigrantInnen war bislang durchaus angemessen. Sie sind bis heute fast die einzigen Einrichtungen der Sozialverwaltung, die bewusst integrationsorientiert arbeiten.

Anfang der 90er-Jahre zeigte sich jedoch, dass die Folgeprobleme der Einwanderung mit Sonderdiensten allein nicht zu bewältigen sind. Auch die Regeldienste sollten nun ihre Angebote auf die Probleme und Bedürfnisse von MigrantInnen ausweiten. „Interkulturelle Öffnung“ nannte man diesen Prozess. MitarbeiterInnen der Jugend-, Familien- oder Altenhilfe wurde in Schulungen „interkulturelle Kompetenz“ vermittelt.

Doch flächendeckend geschah das nicht. Zudem zeigte sich, dass es nicht reicht, einzelne MitarbeiterInnen zu schulen oder MigrantInnen einzustellen. Man „reproduzierte innerhalb der Institution, was schon auf gesellschaftlicher Ebene stattfand: die Weigerung, Deutschland als Einwanderungsland anzuerkennen und die Neigung, der Beschäftigung mit dieser Tatsache aus dem Weg zu gehen“, so Tatiana Lima Curvello vom Verband binationaler Familien und Partnerschaften, iaf Berlin e. V.

Resultat: Alle Klienten, die dem Einwanderungskontext zuzuordnen waren, wurden auf die geschulten MitarbeiterInnen abgeschoben. „Der Rest der Institution konnte sich so weiterhin aus der Affäre ziehen.“

Heute weiß man, dass dies in eine Sackgasse führt. Die von der Pisa-Studie aufgedeckten Mängel des Bildungssystems, die überproportional hohe Arbeitslosigkeit von Migranten und die daraus entstandene vieldimensionale Problemlage lässt sich nicht mehr ausblenden. Das Thema fordere jetzt die ganze Institution, betont Curvello.

In sozialen Diensten, aber auch Schulen, kommunalen Ämtern, Arbeitsämtern, im Gesundheitswesen, in Polizei und Justiz – überall sei interkulturelle Kompetenz nötig. Jede Institution als Ganzes müsse die Probleme, Bedürfnisse und Ressourcen der Zielgruppe, aber auch die Strukturen der Migranten-Communities, ihre Netzwerke, ihre Organisationen und ihre Ansprechpartner kennen. „Nur so wird sie ihre Dienste und Angebote auf die neuen Herausforderungen zuschneiden können.“

Verwaltungen reagieren jedoch viel behäbiger als im Wettbewerb stehende Unternehmen. Dort weiß man: Wer sich den Wünschen der Kundschaft nicht anpasst, geht Pleite. Inwieweit die interkulturelle Öffnung der Verwaltung vorankommt, hängt nicht nur vom politischen Druck, sondern vor allem auch von der Motivation der MitarbeiterInnen und Führungskräfte ab.

Das Projekt „TiK – Transfer interkultureller Kompetenz“ der iaf Berlin ist ein Modellprojekt, das diese Motivation fördern und Beratungskompetenzen schaffen will. Seit 2000 erwerben dort MitarbeiterInnen psychosozialer Regeldienste in einer rund zweijährigen Schulung interkulturelle Beratungskompetenzen. Zusätzlich wird eine Organisationsberatung mit Workshopprogramm angeboten, um zu garantieren, dass die TeilnehmerInnen in der Lage sind, ihr Wissen in Behörden und Dienste zu transferieren.

Im Vorgängerprojekt, einer 18-monatigen Weiterbildung von 1996 bis 1998, hat der Verein die Erfahrung gemacht, dass die TeilnehmerInnen das erworbene Know-how an ihrem Arbeitsplatz kaum umsetzen konnten. Deshalb ist die Beratung vor Ort ein wesentlicher Bestandteil der Weiterbildung geworden. Sie muss den Transfer neuen Wissens der geschulten MitarbeiterInnen in die Arbeit der Gesamtorganisation unterstützen. In den TiK-Workshops wird aus diesem Grund an das jeweils vorhandene interkulturelle Wissen und die unterschiedlichen Interessen in den Diensten angeknüpft.

Curvello, die das Projekt leitet, betont, wie wichtig der klare Wille der jeweiligen Leitung eines Dienstes oder einer Behörde ist, die Verantwortung für diesen Wissenstransfer zu tragen, Gelder zur Verfügung zu stellen und die Mitarbeiter zu motivieren.

Im Idealfall gelingt es, das Konzept so zu vermitteln, dass auch die Leitung eines Dienstes oder einer Behörde die Innovationskraft des Prozesses erkennt. Dann kann ein Lernschub in Gang gesetzt werden.

Oft braucht es gar nicht viel, um Behörden besser interkulturell auszurichten. Warum schreibt etwa die Handwerksordnung für die Gesellenprüfung von Fleischern das Zerlegen eines Schweins vor? So ergreift kein Muslim diesen Beruf. Würde man das Zerlegen eines Lamms als Alternative zuzulassen, gäbe es in Berlin vielleicht bald den ersten türkischen Fleischer. EKKEHART SCHMIDT-FINK

TiK – Transfer interkultureller Kompetenz, Oranienstraße 34, 10999 Berlin, Tel. (0 30) 61 65 15-90, Fax -98 E-Mail: info@TiK-iaf-Berlin.dewww.TIK-iaf-berlin.de