Abgeschminkt

Ein Hauch von Staatsbühne: In der Volksbühnen-Reihe „Politik und Verbrechen“ dozierte Gregor Gysi – in seiner neuen Rolle als Senator – über „Wirtschaftsdemokratie“

Sentimentale Freunde des Protestes bekommen verklärte Augen, wenn sie sich an das Rührstück erinnern, das Gysi und sein Trupp vor ein paar Jahren im Rangfoyer der Volksbühne aufführten. Damals ging es um viel Geld und um opferbereite Genossen, die um die Wette fasteten. Als „Berliner Bulettenstreik“ ging das Stück in die Theaterannalen ein.

Am Montagabend kehrte Gysi nun in die Volksbühne zurück, um in der „Politik und Verbrechen“-Reihe sein neues Ganovenstück vorzustellen. Der alte Arbeitstitel „Wenn das Kapital revolutionär ist, soll man es bremsen oder forcieren?“ war viel zu lang – ästhetisch verknappt lautet der Titel: „Der Wirtschaftsanwalt Dr. Gysi“. Wieder spielt er die Hauptrolle – einen mausgrauen Anzugsträger. Marthaler-mäßig der Beginn – Wirtschaftsanwalt Dr. Gysi fingert umständlich einen ReferentInnenentwurf aus der Klarsichtfolie. „Ich bin noch mal drübergegangen“, das sorgt für Lacher bei den Lümmels in der letzten Reihe. Lustlos liest er vom Blatt ab, was seinen Referenten beim Kapitalismus-Trockenschwimmen so alles eingefallen ist: Klassikerzitate (Aristoteles, Balzac) und moderne Angestelltenliteratur. Schnell begreift man, dass die einzige dialektische Freude für den Wirtschaftsanwalt darin bestehen wird, die Konsumerwartungen seines zahlenden Publikums zu durchkreuzen: keine Performance, kein Berliner Schnauzenspontitum, dafür zweieinhalb Stunden Seminar.

Hat der postheroische Manager Gysi etwa vergessen, dass es in der Wirtschaft vor allem auf Stimmung ankommt? Staubtrocken klopft Gysi juristische Begriffe ab, buchstabiert systemfromm das kapitalistische Marktgesetz, ohne nach den weißen Mäusen des Sinns zu fragen. „Wirtschaftsdemokratie“ schwebe ihm vor, so viel bleibt hängen: Aber klebt an diesem sozialdemokratischen Ladenhüter nicht der Muff von dreißig Jahren? Dem reichlich konfusen Stück hätte ein Dramaturg gut getan, Carl Hegemann versuchte sich in dieser Rolle; Gysis kommunal-kommode Überlegungen zu „Spreequell“- Abwanderungsplänen ließen sich aber mit Hölderlin („Tragödie ist Staatsauftrag“) und der Marx’schen 11. Feuerbach-These nur schwer koppeln. Was in erster Linie gar nicht an den Umarmungskünsten des rot geschminkten Frauensenators lag, auch nicht allein am schluffigen Hegemann-Stil. Volksbühne und PDS sind sich einfach gute Nachbarn, man duzt sich. Selten hat man die Volksbühne so gemütskonservativ vor sich hinwabern sehen, ein Hauch von Staatsbühne lag über diesem Abend.

Gysi vermittelte vor allem seine Bumm-Bumm-Botschaft: „Ich bin jetzt drin.“ Nicht mehr das kapitalistische Schurkenmärchen will er geben, die Charaktermasken dürfen sich abschminken. Er habe gelernt, dass es auf „Ideologie in der konkreten Politik nicht ankomme“. Was ihn denn dann eigentlich noch von einem Westberliner CDU-Politiker unterscheide? Der Wirtschaftsanwalt überlegte eine Weile, griff dann nach einer Zigarette; rauchend war das aber alles nicht. STEPHAN SCHLAK