Ringelpiez mit Aufruhr

Schluss mit der soften Linie: Die Parteizentralen des „Ölbaum“-Bündnisses gegen Italiens Rechtskoalition verkennt immer noch die Lage. In der stärker werdenden Bürgerbewegung sind nicht nur Intellektuelle wie Nanni Moretti oder Antonio Tabucchi unterwegs, sondern auch die eigenen Kernwähler

„Mit einer solchen Regierung darf es keine Verhandlungen geben“

von MARINA COLLACI

Eigentlich sollte am letzten Samstag in Mailand nur eine Kundgebung über die Bühne gehen – am Ende aber wurden es zwei: 12.000 Menschen drängten sich zum „Tag der Legalität“ in der Megasporthalle Palavobis, und eine mindestens doppelt so große Menge stand vor der Tür und hörte sich am Megafon gehaltene Reden an. „Resistere, resistere, resistere“ prangte als Slogan über der Bühne im Saal: Jenes dreimal wiederholte „widerstehen“, mit dem Mailands Generalstaatsanwalt Francesco Saverio Borrelli im Januar seine Rede zur Eröffnung des Justizjahres geschlossen hatte.

Keine der Großorganisationen des Landes, keine Partei, keine Gewerkschaft hatte zum Tag des Widerstands gegen Berlusconis Attacken auf die Justiz aufgerufen. Ausgegangen war die Initiative von der Elite-Zeitschrift MicroMega, die gemeinsam mit dem Exstaatsanwalt Antonio Di Pietro zehn Jahre nach „mani pulite“ – nach der Aktion „Saubere Hände“ der Mailänder Staatsanwaltschaft – Solidarität mit jenen Richtern bekunden wollte, die sich heute im Feuer der Rechtskoalition befinden. Den Richtern gelte es den Rücken zu stärken gegen „Berlusconis Do-it-yourself-Justiz“, verkündete ein Redner nach dem anderen.

Do-it-yourself war aber auch die Protestveranstaltung. Ein paar orangene Tulpen auf der Bühne reichten als Dekoration, Mund-zu-Mund-Propaganda und E-Mail-Ketten hatten für Öffentlichkeit gesorgt, die 25.000 Euro Saalmiete wurden per Kollekte unter den Kundgebungsteilnehmern eingesammelt, statt Megatransparenten waren nur selbst gemalte Plakate zu sehen, und Dario Fo sorgte mit einer Stegreifimprovisation auf den Diktator „Ubu“ für Stimmung. Dass es zur Not auch ohne Großorganisationen geht, dass die „società civile“, die Zivilgesellschaft, zu selbst organisiertem Protest, zur Opposition im Berlusconi-Land fähig ist, wenn die parlamentarische Opposition beiseite steht – dies war die zweite Botschaft von Mailand.

Natürlich werde er nicht nach Mailand fahren, hatte Massimo D’Alema, Exministerpräsident und starker Mann der Linksdemokraten, schon vor Wochen verkündet; schließlich gebe es keinen Grund, die zehn Jahre von „mani pulite“ zu zelebrieren: „An Handschellen ist nichts zu feiern“. Die gesamte Führungsspitze der Opposition hatte es D’Alema gleichgetan: weder Francesco Rutelli, Oppositionsführer und Chef der Mitte-Partei der „Margerite“, noch Linksdemokraten-Vorsitzender Piero Fassino ließen sich im Palavobis blicken. Mit „Indignation“ lasse sich schließlich kein Staat machen, dies war die immer wiederholte Litanei aus den Parteizentralen des „Ölbaum“-Bündnisses.

Ob MicroMega-Herausgeber Paolo Flores D’Arcais oder der Journalist Marco Travaglio, dessen Anti-Berlusconi-Buch sich im Wahlkampf des letzten Jahres 300.000-mal verkauft hatte, ob Dario Fo, Antonio Tabucchi oder Andrea Camilleri – sie alle mussten sich vor und nach der Wahlniederlage immer wieder anhören, dass ihr Protest schließlich kein „politisches Projekt“ sei, dass man Berlusconi nicht „dämonisieren“ dürfe, indem man an seine zahlreichen Prozesse erinnert oder stur von den vielfältigen Interessenkonflikten des politisierenden Medienunternehmers redet. Das nütze nur Berlusconi, der sich zum Opfer stilisiere und damit die Wahlen gewinne. Also bitte keine schrillen Töne aus dem „Minderheitenghetto“. Während die Parteichefs mit ihren gestanzten Erklärungen hantierten – „movimentismo“ sei das, „Gauchismus“, Verbalradikalismus etc. – setzte sich das „Minderheitenghetto“ einfach in Bewegung. Den Auftakt machten einige Florentiner Universitätsprofessoren um den Geologen Francesco Pardi und den Historiker Paul Ginsborg. Nur 14 Zeilen war ihr Aufruf lang, mit dem sie vor Berlusconis Versuch warnten, per Gefügigmachung der Justiz und rechter Okkupation der RAI die Demokratie auszuhöhlen – doch dieser Aufruf brachte am 24. Januar bei strömendem Regen 12.000 Menschen auf die Straßen von Florenz. Nur zwei Tage später organisierte eine vollkommen unbekannte Journalistin in Mailand die erste Menschenkette um den Justizpalast, und wieder waren tausende da. Eine Übersetzerin und eine Producerin wiederholten das Experiment in Rom; 5.000 kamen.

Gefährliche Extremisten? Francesco Pardi lacht über diese Charakterisierung von „uns paar mittelalten Uniprofessoren mit Bäuchlein und künstlichem Gebiss“. Die Chefs der Linksdemokraten, die über die Menschenketten als „Ringelpiez mit Anfassen“ lästerten, hätten eigentlich merken können, dass da ihre Kernwählerschaft unterwegs war, Leute von 35 aufwärts, überdurchschnittlich gebildet, in intellektuellen Professionen tätig – und dass für diese treuesten aller Linkswähler die Zeit des von den eigenen Anführern gepredigten manierlichen Umgangs mit Berlusconi vorbei ist. Doch Unruhe zog in Roms Parteizentralen erst ein, als Nanni Moretti eine „Ölbaum“-Kundgebung vor drei Wochen nutzte, um mit D’Alema, Fassino, Rutelli abzurechnen: „30 bis 40 Jahre Berlusconi“ seien mit solchen Oppositionsführern garantiert, ein Neuanfang nur denkbar, wenn einer wie Francesco Pardi Chef des „Ölbaum“-Bündnisses werde.

Auch Moretti wäre wohl schnell als Extremist weggestellt worden, hätten nicht in den Tagen drauf Meinungsumfragen signalisiert, dass 70 Prozent der Oppositionswähler den Ärger des Filmemachers teilten. Der war nun plötzlich gefragt – als Partner im Dialog zwischen Politik und Intellektuellen. Letzten Freitag lud Linksdemokraten-Chef Piero Fassino zur großen Aussprache zwischen Partei und „Welt der Kultur“ nach Rom – und machte vorsichtige Öffnungsübungen. Die zuvor immer geschmähte „Indignation“ wurde nun zum ehrenwerten Gefühl befördert, aber man dürfe halt nicht bei ihr stehen bleiben. Zu besiegen sei Berlusconi nur mit – genau: mit einem „politischen Projekt“. Die Rechte habe gesiegt, weil sie als Kraft der Innovation wahrgenommen worden sei; auf diesem Feld müsse die Linke ihr den Rang ablaufen.

Moretti selbst – er hörte sich den Vortrag ziemlich mürrisch an – zog später ohne Erwiderung von dannen. Dafür übernahm es Furio Colombo, Chefredakteur der Tageszeitung L’Unità, Fassino die Leviten zu lesen. „Gar nicht genug Indignation“ könne es gegenüber dieser Rechten geben, und eine Linke, die es an der Regierung versäumt habe, Berlusconis Interessenkonflikt zu lösen, weil sie auf Dialog mit dem Gegner fixiert war und ihn deshalb nicht provozieren wollte, müsse nun endlich in der Opposition zu entschlossener Gangart finden: „Warum müssen wir eigentlich immer die Guten spielen? Warum sind wir so weit gekommen, dass wir sogar den ‚Jungs von Salò‘ ehrenwerte Motive zubilligen? Haben wir umgekehrt schon mal auch nur einen Rechten gehört, der sich positiv über die Partisanen geäußert hätte?“ Steinern waren die Gesichter der Partei-Granden am Präsidiumstisch – doch die Ovationen für Colombo zeigten, wo die Sympathien nicht nur der anwesenden „Intellektuellen“, sondern auch des Parteivolks lagen.

Das gleiche Sündenregister gab es dann am Samstag in Mailand zu hören. Fünf Jahre lang habe eine dialogbesessene Mitte-Links-Regierung Berlusconi gewähren lassen, von wegen „nicht zum Opfer stilisieren“ durch eine ihm ungenehme gesetzliche Lösung des Interessenkonflikts: „Und was ist passiert? Berlusconi hat die Wahlen gewonnen, ganz ohne dass wir ihn zum Opfer stilisiert hätten, und regelt seine Medien- genauso wie seine Justizprobleme nach eigenem Gusto.“ Schluss müsse sein mit der soften Linie, so Francesco Pardi: „Immer und unter allen Umständen muss die Opposition Obstruktion gegenüber einer Regierung treiben, die das Recht mit Füßen tritt. Mit einer solchen Regierung darf es keine Verhandlungen geben.“

Ein „dritter Pol“ aber – eine neue politische Kraft neben der Rechten und dem „Ölbaum-Bündnis“ – werde aus der Bürgerbewegung gegen Berlusconi nicht; weder „antipolitische“ noch „Anti-Parteien-Reflexe“ seien ihre Sache, versichern Pardi und seine Mitstreiter. Verstetigen allerdings müsse sich die Bewegung schon; der nächste Schritt soll die Schaffung einer nationalen Koordinierung sein. Aber womöglich ist das gar nicht nötig – jedenfalls wenn man Piero Fassino von den Linksdemokraten glauben darf. Der will nichts mehr wissen von den Polemiken gegen die „selbst ernannten Volksführer“ von Mailand (so der D’Alema-Intimus Peppino Caldarola) und ist voll des Lobes für die „moralische Revolte“ der Protestierer, unter denen „ganz, ganz viele unserer Parteimitglieder und Wähler sind“. „Dumm“ sei die Polemik zwischen Bürgerbewegung und offizieller Opposition; schließlich hätten auch die Linksdemokraten in letzter Minute zur Mailänder Kundgebung aufgerufen, nun gelte es, gemeinsam Berlusconi das Leben schwer zu machen.

Und selbst der Moretti-Verächter Massimo D’Alema fand sich am Montagabend bei den Professoren Ginsborg und Pardi in Florenz zum Streitgespräch vor 4.000 Zuhörern ein. Einen Job als Parteiführer wollten sie gewiss nicht, versicherten die Professoren dem Politiker, „aber in Zukunft verhandeln wir auf gleicher Augenhöhe“.