Entscheidend ist das Militär

In Madagaskar kommt es zu ersten Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Opposition. Der Ausgang des Konflikts wird auch von der Haltung der Armee abhängen. Das Kabinett diskutiert bereits über die Bildung einer Militärregierung

aus Antananarivo THÉO AULNIER

Einen Tag nach ersten gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Opposition in Madagaskar hat das Kabinett in der Hauptstadt Antananarivo gestern über die Bildung einer Militärregierung diskutiert. Eine Gruppe von zehn hohen Offizieren sprach sich jedoch für den Erhalt der nationalen Einheit und ein Ende der Gewalt aus. Darüber hinaus betonte sie ihre politische Neutralität. Am Nachmittag wurde eine Ansprache von Präsident Didier Ratsiraka an die Bevölkerung des Inselstaates vor der Küste Ostafrikas erwartet.

Zu den Auseinandersetzungen am Vortag kam es, als etwa 200 aufgebrachte Menschen, die von der Regierung mit umgerechnet 1,50 Euro für ihren Einsatz bezahlt wurden, auf oppositionelle Demonstranten losgingen. Bei darauf folgenden Ausschreitungen wurden mindestens 14 Menschen verletzt. Das Militär hielt sich zurück.

Seit den umstrittenen Präsidentschaftswahlen vom 16. Dezember haben die Spannungen in Magadaskar stetig zugenommen. Sie eskalierten, nachdem Ratsiraka am vergangenen Freitag den Ausnahmezustand ausgerufen hatte. Zuvor hatte sich Marc Ravalomanana, der Oppositionskandidat bei den Wahlen, vor hunderttausenden begeisterter Anhängern zum Präsidenten ausrufen lassen. Er wirft seinem Gegnern massiven Wahlbetrug vor, der auch von unabhängigen Wahlbeobachtern beklagt wird. Ravalomanana ist sich sicher, im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit gewonnen zu haben. Am Dienstag beauftragte er den ehemaligen Außenminister Sylla mit der Bildung einer Parallelregierung. Sylla hat den Ruf eines gemäßigten Politikers. Er stammt aus der Hafenstadt Toamasina und gilt als Vertreter der Küstenbewohner.

Präsident Ratsiraka setzte sich am Wochenende per Hubschrauber auf die entlegene Insel St.Marie ab. Die Macht der Regierung in der Hauptstadt scheint geschwächt. Hinzu kommt, dass gestern zwei einflussreiche Minister zurücktraten.

Seit über sechs Wochen demonstrieren täglich hunderttausende friedlich in der Hauptstadt gegen den offensichtlichen Wahlbetrug. Die halbe Stadt und alle Bevölkerungsschichten sind vertreten, um ihren Wahlsieg gegen ein korruptes Regime zu verteidigen, das das Land seit über fünfundzwanzig Jahren ausbeutet. Sie sind bereit, dafür persönliche Opfer zu bringen. Tausende von Anhängern bilden rund um die Uhr ein menschliches Schild vor dem Haus Ravalomananas, um seine Festnahme durch das Militär zu verhindern. Die Bevölkerung versorgt die Wachen mit Essen und Getränken.

Die gleiche Szene spielt sich vor der Zentralbank ab, die vor der Ausplünderung durch Ratsiraka und seiner Clique geschützt werden soll. Staatliches Radio und Fernsehen senden nicht mehr, da sich die Mehrheit der Journalisten der Protestbewegung angeschlossen hat. Nichtstaatliche, oppositionelle Sender sorgen dafür, dass die Bevölkerung der Hauptstadt informiert bleibt. Telefonanrufe aus der Bevölkerung laufen live über die Sender und informieren über Bewegungen von Militärfahrzeugen und Ratsiraka-Milizen. Wer nicht auf die Straße geht, klebt am Radio.

Schwieriger ist die Lage in den Provinzen. Dort versuchen die Ratsiraka-getreuen Gouverneure, die Protestbewegung gewaltsam mit Hilfe des Militärs und gedungener Milizen zu unterdrücken. Dabei wurden zwei Schüler von einem Abgeordneten erschossen. Es gab meherere Schwerverletzte auf beiden Seiten. Eine ganze Reihe oppositioneller Radiosender wurden zerstört, oppositionelle Journalisten wurden misshandelt. Große Teile der Provinzen sind von aktuellen Informationen abgeschnitten, da sie bisher nur vom linientreuen Staatsrundfunk erreicht werden konnten.

Mit Spannung wird die Haltung der Armee verfolgt. Von ihr wird der Ausgang des Konflikts abhängen. Im Juli hatte Ratsiraka, dessen Vorbild Kim Il Sung ist, den Generalstab mit linientreuen Gefolgsmännern neu besetzt. Die Mehrheit des Offizierscorps scheint jedoch eine traditionell neutrale, wenn nicht oppostionelle Haltung einzunehmen.

Letztes Mittel Ratsirakas, um an der Macht zu bleiben, ist der offensichtliche Versuch, Stammeskonflikte zu schüren und die aus Afrika eingewanderten Ethnien, die die Küsten bewohnen, gegen die hellhäutigen Bewohner des Hochplateaus indomalayischen Ursprungs, die Merina, aufzuhetzen. Zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen bestehen historische Rivalitäten, die von den französischen Kolonialherren angeheizt wurden. Die Tatsache, dass Ravalomanana als erster hellhäutiger Merina auch in großen Teilen der Küstenregionen den Wahlsieg über den Küstenbewohner Ratsiraka errungen hat, spricht dafür, dass dieser Konflikt an Schärfe verloren hat.