vorlesungskritik
Ein Vortrag über den „Mythos der schönen Jüdin“
: So viel Schönheit war lange nicht

Wer zu einem Vortrag geht, dem wird gewöhnlich das letzte Stück des Weges von den Leuten gewiesen, die dem gleichen Ort zuströmen. In der Oranienburger Straße strömen die Menschen am Jüdischen Kulturzentrum vorbei. Wer hinein will, der klingelt, nennt sein Begehr und steigt das steinerne Treppenhaus empor. Zu Dr. Elvira Grözingers als „Der Mythos der schönen Jüdin“ angekündigtem Vortrag finden sich schließlich gerade mal vier ältere Herren und zwei Damen ein. Sie haben sich auf der Bestuhlung gleichmäßig verteilt oder auch: den größtmöglichen Abstand zwischen sich geschaffen. Dabei scheint man sehr miteinander vertraut zu sein. Der Herr, der den Abend moderieren wird, überreicht Elvira Grözinger zum frisch erlangten Doktortitel noch rasch einen Strauß mit Rosen, ihrer Erkältung wegen mit Eukalyptus umgrünt. Außerdem lässt er wissen, der Vortrag habe ursprünglich „Die schöne Jüdin“ heißen sollen, sei dann aber umbenannt worden.

Elvira Grözingers Vortrag folgt dabei dem ursprünglichen Plan. Sie spricht nicht über den Mythos, sondern über die schöne jüdische Frau und verdoppelt so das, dem es doch zu entkommen galt. Beginnend mit der biblischen Esther, mythologischer „Retterin des Volkes und Heroine“, in deren Gestalt sich die Schönheit mit Klugheit und Unverwundbarkeit verbinde, geht sie über zu „anderen schönen jüdischen Frauen“: Judith, Salome, Susanna im Bade. Immer erscheint die Frau als „erfolgreiche Verführerin“: „Cherchez la femme, oder: eine Frau steckt hinter allem.“

Besonders im 19. Jahrhundert seien dann die biblischen Stoffe wiederentdeckt worden, wie etwa Salome durch Richard Strauss oder Oskar Wilde. Über jüdische Salonieren in Europa, denen ihre Schönheit die Illusion verliehen habe, „Anschluss an die Nichtjuden gefunden zu haben“, kommt Elvira Grözinger schließlich zur neuen israelischen Literatur.

Dort, in der Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts, wo jüdische Frauen über jüdische Frauen schreiben, werde mit dem Mythos der schönen jüdischen Frau aufgeräumt. Die israelischen Autorinnen nämlich, so Grözinger, wählten keine biblischen Stoffe mehr, sondern schrieben über „Frauen, die wie sie selbst mitten im Leben stehen“. Diese „Heldinnen“ nun sind selten schön, sondern eigentlich „unschön, aber symphatisch“. Und das sei das Ende des Mythos der schönen jüdischen Frau. Obwohl, wie der moderierende Herr sogleich anmerkt, die Autorinnen ja allesamt schöne Frauen seien.

Zwei Begriffe sind zu diesem Zeitpunkt deutlich überstrapaziert, der des „Mythos“ und der der „schönen Frau“. Was ist der „Mythos der schönen Jüdin“: eine biblische Erzählung, das Gerücht, es gebe schöne Jüdinnen oder ein Konstrukt mit Funktion? Das ist im Vortrag nicht deutlich geworden, auch die Diskussion fragt gar nicht erst danach.

Dafür schlägt die Stunde des Herrn links vor mir. Die Geschichtswissenschaft im Rücken wird er im Folgenden niemanden mehr zu Wort kommen lassen. Er wird sich gerieren wie ein konspirativer Primaner, tuschelnd den Nachbarn auf seine Seite ziehen, verächtlich abwinken, wenn der moderierende Herr das Zuhören anmahnt. Stilblüten fallen: „Es lässt sich denken, dass die schönen Jüdinnen für die Männer der Schlacht Freiwild gewesen sind.“ Abschließend bleibt nur, einem seiner Sätze zuzustimmen: „Dem Ursprung der Klischierung und des Klischees auf die Spur zu kommen, das wäre ja von Interesse.“ In der Tat.

KATRIN KRUSE